ZUKUNFT + GESELLSCHAFT

GEMEINSAM ZUHAUSE IN NRW

PURE LEBENSLUST zu Gast bei Christen, Muslimen, Orthodoxen und Juden, die in unserem Bundesland zuhause sind. So leben wir miteinander. So erleben und feiern wir die Festtage.

Mit diesem Dossier stellt PURE LEBENSLUST interessante Menschen vor und lässt sie zu Wort kommen. Menschen, die nicht mehr ihren ersten Schritten in der neuen Heimat entgegenbangen, sondern die es bei uns schon geschafft haben. Die uns etwas zu sagen haben.

So erfahren wir etwas mehr über einander. Und das ist oft der erste Schritt, um einfacher aufeinander zugehen zu können. Wir sprechen mit Menschen, die zwar zufällig in unterschiedliche Religionen und Kulturen – in sehr unterschiedliche, friedliche und auch unfriedliche Lebenssituationen – hineingeboren wurden. Die aber hier in Deutschland, genauer in NRW – in Wahrheit bis auf sehr, sehr wenige Ausnahmen – friedlich und oft sogar freundlich zusammenleben.

Gönül Pehlivan, in Istanbul geborene und in Düsseldorf lebende TV-Moderatorin und PURE LEBENSLUST Chefredakteur und Herausgeber Ingo Kabutz sprechen mit Menschen unterschiedlicher ethnischer und religiöser Herkunft, die heute allesamt in NRW zuhause sind.

LAILA HAMIDI

Wenn es richtig gut werden muss, bucht Nina Ruge (links) Make-up-Artistin Laila Hamidi. Julia Stegner (rechts) auch.

Laila Hamidi 

Laila Hamidi macht Top-Model Julia Stegner schön. Foto: Hans-Günther Kaufmann.

Religion: Muslimin
Alter: 35
Familie: verheiratet, ein Sohn
Geboren in: Kabul, Afghanistan
Beruf: Fashion Stylistin (verantwortlich für das Make-up, die Haare und den Mode-Style)
Wohnort: Düsseldorf

Laila Hamidi verbrachte ihre Kindheit im Krieg in Afghanistan. In Kabul geboren und mit viel Glück vor Krieg und Elend geflohen, war ihre erste Station in Europa die Niederlande. Dort ging sie zur Schule und lernte die niederländische Sprache. An der Erasmus Universität in Rotterdam studierte Laila Hamidi Wirtschaft.

Heute wohnt sie mit ihrer Familie in Düsseldorf und ist eine der international angesagten Makeup-Artistinnen und Hairstylistinnen – gebucht hauptsächlich von Prominenten und Stars der ersten Kategorie. Eine wirklich ungewöhnliche, interessante und ermutigende Geschichte, die Laila uns bei unserem Interview-Treffen im Steigenberger Hotel in Düsseldorf erzählte.

Wie alle Mädchen interessierte sich Laila schon als kleines Mädchen für´s „Schönmachen“. Als sie dann nach Deutschland kam wollte sie ihre Sprachkenntnisse rasch verbessern und bewarb sich bei Douglas in München. Zwischen 2004 und 2010 arbeitete Laila dort jeden Samstag. Am Anfang packte Leila am Packtisch Geschenke ein. Dann durfte sie an die Kasse. Damals konnte sie kaum Deutsch. Als ihre Sprachkenntnisse besser wurden, setze ihre Chefin sie bei den Parfüms und dann auch bei der Kundenberatung ein. Beratung hieß auch, für die Kundinnen verschiedene Produkte zu testen und einzusetzen. Laila Hamidi begann, Schritt für Schritt, mit dem Makeup-Styling. Heute sagt sie: „Die Möglichkeit zu haben, verschiedene Typen zu schminken, war die beste Ausbildung für mich“.

2010 sagte ihre Chefin dann, dass Dior den Makeup Artist des Jahres sucht und dass ich mich bewerben könnte. Das war eigentlich als Scherz gemeint. Laila allerdings nahm die Sache ernst und suchte ihre Chance. Sie bewarb sich bei Dior für NRW. Aus Hunderten Bewerbungen wurden drei ausgewählt und – Laila Hamidi war bei dem Wettbewerb in Berlin dabei. Dort gewann sie den ersten Platz gemacht. Eine phantastische Leistung und tolle Bestätigung ihres Könnens – schon in jungen Jahren.

Mit diesem Selbstbewusstsein gab Laila anschließend Vollgas und bewarb sich überall dort, wo es ihr interessant und aufregend genug erschien. Plötzlich fand sie sich in dem zwölfköpfigen Team von Boris Entrup wieder. Insgesamt machte sie mit Boris Entrup bei der Berliner Fashion Week über vierzig Shows. Das ist harte Arbeit. Jeden Tag wurde von sechs Uhr morgens bis zehn Uhr abends Models gestylt. Der nächste Schritt führte Laila zu den großen Fashionshows namhafter internationaler Labels nach Mailand und Paris. Die Herausforderungen meisterte sie: Alle Gesichter müssen gleich aussehen, egal ob jemand Herpes hat oder nicht.

Man musst tapfer sein und darf sich keine Fehler erlauben. Zum Abschminken und neu schminken hat man keine Zeit.Laila Hamidi schildert wie sie dann weiter durchstartete: „Nach den Fashionshows hatte ich gute Referenzen. Prominente wollen das natürlich und haben mich getestet. Diese eineinhalb Stunden, die man mit jemandem hat, sind wirklich stressig. In meinem Job kann man nicht sagen: „…so das Ergebnis kommt später noch!“. Es ist da oder nicht. Ich musste sie überzeugen, dass ich besser bin als ihre bisherigen Stylisten. Man muss seine Chance nutzen. Sonst geht man unter. Mittlerweile bin ich in Deutschland nur noch für die A-Promis zuständig. Man muß den Unterschied verstehen. Der Unterschied zwischen einer „normalen Frau“ und einer Celebrity ist: Die „normale Frau“ will einfach schön sein. Die Celebrity hat sehr viel Erfahrung und kennt bereits ihre Problemzonen. Sie beobachtet jede kleine Regung während du sie schminkst und liest sie. Sie spürt, ob du unsicher bist oder nicht. Sie weiß was sie will. Sie will strahlen, egal wie. Mein Job ist es, sie stark zu machen für die großen Auftritte. Und natürlich für die Fotografen und Journalisten.

Zu ihren Stammkundinnen zählt heute die absolute Spitze der Gesellschaft, wie zum Beispiel Liz Mohn. Zu ihr hat Laila ein besonders herzliches Verhältnis. Verona Pooth bucht sie ebenso wie das Top-Model Julia Stegner, die prominente Fernsehmoderatorin und Journalistin Nina Ruge, sowie Franziska von Amsieck. Während der 88. Verleihung der Oscars 2016 im Dolby Theatre am Hollywood Boulevard konnten sich zahlreiche Stars darauf verlassen, dass Laila Hamidi, ganz in der Nähe in ihrer Stylingsuite im Hotel La Hertmitage in Beverly Hills, zu den vollendeten Roben auch das perfekte Makeup und das Hairstyling zauberte.

FRAU HAMIDI, WIE FÜHLT SICH IHRE GESCHICHTE FÜR SIE AN, WENN SIE ZURÜCKBLICKEN?
Es ist natürlich nicht normal, auf eine Kindheit im Krieg zurück zu blicken. Jetzt Prominente zu stylen, fühlt sich sehr glamourös an.

KOMMEN WIR INS HIER UND JETZT. WIE FEIERN SIE WEIHNACHTEN ALS MUSLIMIN IN DEUTSCHLAND?
Für mich ist die Weihnachtszeit die schönste Zeit. Wir haben das Glück, dass wir von der deutschen Kultur annehmen können, was wir möchten. Als ich noch klein war und bevor die Taliban gekommen sind, hatte meine Mutter finnische Freunde, die zu der Zeit in Afghanistan bei der UN arbeiteten. Sie haben uns eingeladen, mit ihnen Weihnachten zu feiern. Das war das Highlight des Jahres für unsere Familie. Sie haben Gerichte für uns gekocht, die wir vorher nie gekostet hatten. Schlagsahne zum Beispiel. So etwas hatten wir nicht. Dann haben wir Geschenke bekommen. Puzzle und Spielzeug, was man in Kabul nicht kaufen konnte. Ich liebe Weihnachten immernoch. Bevor mein Kind kam hatten wir auch Kerzen und Lichter in der Wohnung. Seit mein Sohn groß ist haben wir auch einen Weihnachtsbaum. Wenn die Kinder hier geboren sind kann man das nicht verbieten und sagen: Bei uns gibt es das nicht, wir sind Muslime. Wir feiern mit meiner ganzen Familie zusammen. Der kleine Unterschied ist, dass wir zwar zusammensitzen, aber es muss nicht unbedingt der 24. sein (lacht). Es kann auch ein anderer Tag sein.

Am Hollywood Boulevard ist Laila Hamidi immer in der Nähe von Verona Pooth. Dort stylt sie Stars mit ganz großen Namen in ihrer Lounge für den Auftritt auf dem roten Teppich. Zum Beispiel während der Oscarverleihung im Februar 2016. Fotos: Laila Hamidi privat.

WAS GIBT ES AUF DEN TISCH?
Bei Afghanen muss es Reis auf den Tisch geben. Ohne Reis geht nichts. Also afghanisches Essen. Dazu trinken wir Tee. Aus Respekt meinen Eltern gegenüber, trinke ich kein Alkohol. Es ist Tradition und Sitte, vor den älteren Generationen nicht zu rauchen und zu trinken.

WAS WÜNSCHEN SIE SICH ZU WEIHNACHTEN, WAS DAS ZUSAMMENLEBEN DER UNTERSCHIEDLICHEN KULTUREN UND RELIGIONEN BETRIFFT?
Ich wünsche mir Frieden. Außerdem wünsche ich mir Integration, die von beiden Seiten gewollt und gelebt wird.

WIE PRAKTIZIEREN SIE IHREN MUSLIMISCHEN GLAUBEN HIER IN DEUTSCHLAND?
Ich bin ein religiöser Mensch. Ich bin Muslimin. Ich habe den Islam von meiner Familie gelernt. Diesen ganz strengen Islam, den ich manchmal im Fernsehen sehe, den kenne ich gar nicht. Ich bin gegen einen fanatischen Islam. Ich kenne den Islam und das was im Koran steht als etwas Positives. Afghanistan war lange ein ganz anderes Land. In den Zeiten des Königreichs war es auch ein islamisches Land, aber meine Mutter hat damals Minirock getragen. Damals war alles offen. Es war viel moderner als heute. Jetzt soll man sich verschleiern und eine Burka tragen. Ich mache bei diesen Extremen nicht mit. Meine Bekannten in Kabul übrigens auch nicht. Kabul ist überhaupt eine sehr moderne Stadt. Wenn Frauen auf eine Hochzeitsparty oder so gehen, kommen sie verschleiert. Aber drinnen werfen sie die Kopftücher und Burkas ab. Innerhalb mancher Familien geht das.

GLAUBEN SIE, DASS WIR IN EUROPA, SPEZIELL IN DEUTSCHLAND, EIN VERZERRTES BILD VOM ISLAM HABEN?
Ich glaube schon, dass das Bild ein bisschen falsch ist. Aber es ist nicht eure Schuld, sondern die Schuld der Medien. Die zeigen die radikalen Muslime. Sie wollen ein eigenes Ziel erreichen durch den Islam. Viele von denen sprechen gar kein Arabisch, um ihn lesen zu können. Wie bei den Christen in der Bibel, steht auch im Koran, dass du ein guter Mensch sein sollst. Du sollst nicht stehlen und du sollst nicht töten und du sollst anständig sein. Bei den Radikalen geht es außerdem sehr viel um Frauen und wie sie sich zu verhalten haben. Sie sollen klein bleiben. Das kann ich natürlich nicht gutheißen.

WELCHE PLÄNE UND WÜNSCHE HABEN SIE FÜR DIE ZUKUNFT?
Heute habe ich das Gefühl, dass ich etwas zurückgeben möchte. Dass ich speziell afghanischen Mädchen und Frauen eine Freude bereiten möchte. Das würde ich gerne durch meinen Job tun. Ich habe schon viele Mails aus Afghanistan bekommen von Frauen, die Tipps haben möchten. Ich möchte durch mein Know-How modisch beraten und ihnen einen Weg zeigen. Ich habe die Möglichkeit, als Stylistin Produkte unter meinem Namen herauszubringen und würde gerne eine Produktlinie für Afghanistan machen. Diese sollen eine gute Qualität haben aber trotzdem auch dort bezahlbar sein. In Afghanistan benutzen die Frauen gerade sehr schlechte, chinesische Produkte weil in den Läden nichts anderes angeboten wird. Als ich mit 14 im Krieg war, gab es auch keinen Eyeliner. Da habe ich eine Nadel genommen und sie in die Wimperntusche getaucht (lacht). Ja, ich möchte helfen zu modernisieren, aber auf einem gesundem Weg. Das will ich machen.

DAS PERFEKTE FESTTAGS-MAKEUP TIPPS VON STAR FASHION-STYLISTIN LAILA HAMIDI


MIT 30
Dunkelroter Lippenstift ist gerade sehr in, aber er sollte unbedingt matt sein. Meine Empfehlung ist, dass man mit Lipliner vormalt, weil das einen schönen Effekt gibt und weil der Lippenstift dann nicht ausläuft. Dazu eine leichte, schöne Wimperntusche.

AB 40
wird eine schöne Haut sehr wichtig. Man muss sich dafür etwas mehr Zeit nehmen, um die Foundation aufzutragen. Die Augen sind in diesem Alter sehr entscheidend. Smokey Eyes wirken da sehr schön, so dass die Augen gut zur Geltung kommen. Eyeliner und Kajal sind absolute must-haves. Deutlich betonte Augen verleihen dem Gesicht mehr Ausdruck. Die Lippen werden etwas zurückhaltender geschminkt. Einen zarten Lipgloss aufzutragen, reicht völlig aus. Momentan ist es für jedes Alter sehr wichtig die Augenbrauen zu betonen. Das ist auch sehr in.Heute habe ich das Gefühl, dass ich etwas zurückgeben möchte. Dass ich speziell afghanischen Mädchen und Frauen eine Freude bereiten möchte. Das würde ich gerne durch meinen Job tun. Ich habe schon viele Mails aus Afghanistan bekommen von Frauen, die Tipps haben möchten. Ich möchte durch mein Know-How modisch beraten und ihnen einen Weg zeigen. Ich habe die Möglichkeit, als Stylistin Produkte unter meinem Namen herauszubringen und würde gerne eine Produktlinie für Afghanistan machen. Diese sollen eine gute Qualität haben aber trotzdem auch dort bezahlbar sein. In Afghanistan benutzen die Frauen gerade sehr schlechte, chinesische Produkte weil in den Läden nichts anderes angeboten wird. Als ich mit 14 im Krieg war, gab es auch keinen Eyeliner. Da habe ich eine Nadel genommen und sie in die Wimperntusche getaucht (lacht). Ja, ich möchte helfen zu modernisieren, aber auf einem gesundem Weg. Das will ich machen.

DR. VICTOR ILSKIY

Religion: Russisch-Orthodox. Wohnt in Bonn.
Dr. Victor Ilskiy wurde 2009 zum Leiter des
Handels- und Wirtschaftsbüros der Botschaft der
Russischen Föderation, Niederlassung Bonn, ernannt.

Zuständig für die russisch-deutschen Handelsbeziehungen in Nordrhein-Westfalen. Dr. Ilskiy hat an der Universität Moskau studiert und spricht neben russisch noch deutsch, türkisch und französisch. Als Partner der Unternehmen aus dem russischen Sprachraum kennt Dr. Ilskiy sich ebenfalls mit den christlich-orthodoxen Traditionen aus.

Für die PURE LEBENSLUST Redaktion war es eine besondere Ehre, als Gäste im Gebäude der ehemaligen Botschaft, jetzt General Konsulat der Russischen Förderation, mit Herrn Dr. Ilskiy sowohl über das Leben und über die Weihnachtsgebräuche russisch-orthodoxer Familien in Deutschland, sprechen zu können als auch über aktuelle, konkrete Chancen der Zusammenarbeit von deutschen und russischen Unternehmen – vor allem des Mittelstandes. Vor dem Hintergrund seiner reichhaltigen Erfahrung mit Unternehmen aus dem russischen und deutschen Sprachraum ist Herr Dr. Ilskiy sehr gut informiert über die Gemeinsamkeiten und auch über einige Unterschiede der deutschen und der russischen Tradition, ihre christlichen Bräuche zu pflegen, zum Beispiel Weihnachten zu feiern. Über russisch-deutsche Wirtschaftsthemen, die vom Handels- und Wirtschaftsbüro der Botschaft der Russischen Föderation, Niederlassung Bonn, koordiniert werden, berichtet PURE LEBENSLUST ab der Ausgabe 12 (Erscheinungstermin Januar 2017).

750.000 RUSSISCH-SPRACHIGE EINWOHNER IN NORDRHEIN-WESTFALEN

NRW ist ein Bundesland, in dem sehr viele Einwanderer aus verschiedenen Ländern leben, darunter viele aus Russland. Viele von ihnen feiern das deutsche Weihnachtsfest. Es gibt jedoch eine stets wachsende Zahl von russisch-orthodoxen Einwanderern aus Russland. Sie feiern Weihnachten am 07. Januar. Aber nicht viele wissen, wie die Orthodoxen in NRW dieses Fest eigentlich genau begehen und welche Traditionen dazugehören. Ebenso interessant ist die Frage, wie dieser Unterschied im Kalender zustande kam. 

In NRW haben in der Tat viele Menschen aus aller Welt ihre zweite Heimat gefunden. Sicherlich gilt dies uneingeschränkt für 750.000 russischsprachige Einwohner in dieser Region. Wenn wir diese Zahl in Relation zu den 3,5 Mio. in Deutschland lebenden russischsprachigen Einwanderern sehen, ergibt dieser Anteil fast 20 Prozent der gesamten russischsprachigen Bevölkerung in Deutschland. Viele sind der Konfession ihrer Eltern treu geblieben, einige wiederum begreifen sich als Angehörige deutscher christlicher Kirchen und als vollständig zum deutschen Volke zugehörig.

Heute sprechen wir über Russisch-Orthodoxe, welche in ihren orthodoxen Gemeinden und in ihren Familien große christliche Feste begehen, die für jeden gläubigen Christen von großer Bedeutung sind. Sicherlich fußen verschiedene Richtungen des christlichen Glaubens auf der gleichen Grundlage. Dennoch existieren interessante Unterschiede bezüglich der Traditionen und der Auffassung über die
kulturelle Ausgestaltung des Festes.

BEDEUTUNGSVERSCHIEBUNGEN ZWISCHEN DEM DEUTSCHEN UND
DEM RUSSISCHEN WEIHNACHTSFEST

Der wichtigste Unterschied wäre wohl sicherlich das Datum – das deutsche Weihnachtsfest wird in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember gefeiert und das russische – vom 6. auf den 7. Januar. Das hängt damit zusammen, dass die Kirchen verschiedene Kalender befolgen. Die russisch-orthodoxe Kirche führt den alten Julianischen Kalender, West-Europa lebt nach dem 1582 eingeführten Gregorianischen Kalender. Der Unterschied zwischen diesen beiden Kalendern beträgt 13 Tage. Was Russland anbelangt, so wurde der Gregorianische Kalender erst 1918 staatlich offiziell angenommen. Der Unterschied im Datum stammt demnach daher. Dennoch feiern 11 russisch-orthodoxe Kirchen in anderen Ländern das Weihnachtsfest gleichzeitig mit westeuropäischen Kirchen. In einigen einzelnen ausländischen russisch-orthodoxen Gemeinden ist dies ebenfalls der Fall. Diese Kirchen folgen jedoch nicht dem Gregorianischen Kalender, sondern dem sogenannten Neuen Julianischen Kalender. Nach der Revolution 1917 ereignete sich eine gewisse Bedeutungsverschiebung bei den Festen. Die Kirche wurde durch den Staat als Feind behandelt, weshalb dementsprechend alle religiösen Feste aus dem öffentlichen Bewusstsein entfernt werden sollten. Hierdurch übertrug man alle Weihnachtsgebräuche im Grunde auf das Neujahrfest: So schmückte man den Tannenbaum, der auch bei uns davor immer der Weihnachtsbaum war, zum Jahreswechsel. Dasselbe gilt auch für Geschenke. Im Unterschied zu der Bescherungstradition in Deutschland und in allen westlichen Ländern spielen die Geschenke im russisch-orthodoxen Kontext eine geringe Rolle, wobei die Kinder traditionsgemäß beschenkt werden. Abgesehen vom Datum ist dies der erste wesentliche Unterschied.

MISCHUNG AUS RUSSISCHEN UND HIESIGEN TRADITIONEN

Ein weiterer Unterschied besteht in der recht strengen Fastenzeit, die dem russisch-orthodoxen Weihnachtsfest vorangeht. Dieses Fasten ist um einiges rigider als beispielsweise das katholische Fasten. Die russisch-orthodoxe Kirche zelebriert nur einen Weihnachtsgottesdienst, der allerdings die ganze Nacht andauert. Ein weiteres Merkmal, nach dem sich das westliche und das russisch-orthodoxe weihnachtliche Brauchtum voneinander unterscheiden, sind die Speisen, die zum Fest zubereitet werden. Den Höhepunkt der weihnachtlichen Küche bildet im westlichen kulturellen Kontext meistens die Weihnachtsgans, die meistens mit Äpfeln gefüllt ist. Russisch-orthodoxe Christen messen den vorweihnachtlichen Fastengerichten besondere Bedeutung bei. Diese Speisen werden den Fastenregeln entsprechend zubereitet. Es sind 12 Gerichte, die am Heiligabend auf den Tisch kommen. Ein obligatorisches Attribut des Tisches am Heiligabend in den russisch-orthodoxen Familien bildet Reis mit Honig, Nüssen und ein Kompott aus trockenen Früchten. Auch Piroggen mit Fisch, russische Lebkuchen (Prjaniki) und Sülze erscheinen an diesem Tag auf dem Tisch.

Russlanddeutsche Familien praktizieren eine gewisse Mischung aus russischen und hiesigen Traditionen, sodass sich deutsche und russische Traditionen in diesen Familien vereinen und die Weihnachtsgerichte aus der deutschen Küche zum russisch-orthodoxen Weihnachten zubereitet werden. Weihnachten war bereits in früheren Zeiten für viele Menschen eine besonders innige Zeit, in der man unter anderem bestrebt war, einen Blick in seine Zukunft zu werfen – durch ein von der Kirche weniger gebilligtes Mittel, durch die Wahrsagerei – was im christlichen Glauben zugegebenermaßen als Sünde gilt. Aber wir können die Geschichte schließlich nicht wegdenken. Unverheiratete Mädchen wollten und wollen beispielsweise in dieser Zeit gern wissen, wie ihr zukünftiger Ehemann sein wird. Wachsgießen war und ist ebenfalls beliebt. In Dörfern warf man sogar einen Filzstiefel über den Zaun, um zu ergründen, wo der zukünftige Bräutigam wohnt. Filzstiefel – der ja in seiner Form etwas Stumpfes und Schwerfälliges darstellt wurde als eine Art Kompass für das Frauenschicksal verstanden, ein wenig paradox, nicht wahr? Ein solch ungehobelter Gegenstand in einer solch delikaten Materie! Aber zurück zum eigentlichen Weihnachtsfest. Auch russisch-orthodoxe Christen haben wunderschöne Weihnachtslieder, die ab dem Heiligabend in der Kirche, zu Hause und überall gesungen werden. Diese Lieder haben im Russischen eine besondere Bezeichnung, sie heißen Kolyadki. In diesen Liedern lobpreisen die Singenden die Ankunft des Herrn auf Erden. Kolyadki, „weihnachtliche“ Wahrsagerei sowie das Tragen von Maskenkostümen zu Weihnachten ist ausschließlich für slawische Völker kennzeichnend.

Ein wesentlicher Unterschied ist auch die Ausrichtung des Festes in puncto „handelnde Personen“, wenn man es so nennen darf. In der Orthodoxie dreht sich das Weihnachten um Jesus Christus und in den westlichen christlichen Kirchen spielt der Weihnachtsmann oder Sankt Nikolaus, eine wichtige Rolle.

DIE ORTHODOXEN FOKUSSIEREN SICH IN IHREM GLAUBEN MEHR AUF CHRISTUS AUFERSTEHUNG – ALSO AUF DAS OSTERFEST – WESTLICHE CHRISTLICHE KONFESSIONEN EHER AUF DIE WEIHNACHTSBOTSCHAFT 
 
Das russisch-orthodoxe Weihnachten ereignet sich eher nicht im häuslichen Bereich sondern in der Kirche. Strenges Fasten leitet die Gläubigen durch diese Zeit. Man begeht das Weihnachtsfest zu Hause oder in der Kirchengemeinde. An dieser Stelle muss man anmerken, dass das Osterfest in Russland gegenüber Weihnachten eine übergeordnete Rolle spielt. Die Orthodoxen fokussieren sich in ihrem Glauben mehr auf Christus Auferstehung und westliche christliche Konfessionen eher auf die Weihnachtsbotschaft. 

DEUTSCHLAND UND RUSSLAND – VEREINT IM CHRISTLICHEN GLAUBEN.

Weihnachten ist eines der schönsten christlichen Feste. Im Laufe von 2 Jahrtausenden haben sich viele Traditionen formiert, die zu Weihnachten befolgt werden. Deutschland und Russland vereint ihre Einheit im christlichen Glauben.

MANUEL MARKOWITZ

Religion: Jüdisch
Alter: 33
Beruf: Diamantenhändler
Geboren in: Neuss
Wohnt in: Düsseldorf

Die Familie Markowitz ist eine jüdische Familie. Sowohl von der Seite der Mutter als auch von der Seite des Vaters. Sie sind nicht religiös aber traditionell und leben ihre Kultur aus. Sie feiern mit der Familie die höheren Feiertage. „Ich gehe auch mal mit meinem Vater in die Synagoge. Aber das ist für uns mehr ein gesellschaftliches Ereignis. Danach sitzt man mit der Familie zusammen und isst. Ansonsten ist kein großer Teil unseres Lebens jüdisch beeinflusst. Wir respektieren es aber und stehen hinter unserer Religion. In seinem Diamantengeschäft in der der Nähe der Königsallee in Düsseldorf sitzt Manuel Markowitz uneitel aber engagiert und freundlich an seinem Schreibtisch, der gleichzeitig als Kunden-, Beratungs- und Ablagetisch fungiert. Bereitwillig und offen beantwortet Manuel weitere Fragen:

BIST DU IN DEUTSCHLAND GEBOREN? UND DEINE ELTERN?
Ich bin in Neuss geboren obwohl ich Düsseldorfer bin. Aber ein befreundeter, jüdischer Arzt meiner Mutter war zu der Zeit in Neuss stationiert. Mein Vater ist in Rumänien geboren. Meine Mutter in Moldavien. Beide sind als Kinder schon nach Israel ausgewandert und dann von Israel nach Deutschland gekommen, wo mein Bruder, meine Schwester und ich beide geboren sind.

HAST DU IN DEINER KINDHEIT UND JUGEND VIEL MIT ANDEREN JÜDISCHEN FAMILIEN ZU TUN GEHABT?
Ja, sehr viel. Ich war viel in der jüdischen Jugendarbeit tätig. Sowohl als Kind als auch später als Erzieher und Tutor. Da waren wir auch viel in jüdischen Feriencamps und Jugendzentren. Das hat noch zufolge, dass ich auch heute jederzeit irgendwo in Europa übernachten kann. Bei Leuten jüdischen Glaubens, die ich von früher noch kenne. Der Zusammenhalt ist auch ein Teil der jüdischen Kultur. Man hilft sich gegenseitig, egal wo auf der Welt. Als die ersten Einwanderungswellen nach Israel stattgefunden haben, war es so, dass man nur mit der Familie und zwei Koffern angekommen ist. Die Menschen hatten damals nichts. Die sind dann zur Bank gegangen und haben ein Darlehen für eine Wohnung beantragt. Das ging sofort, wenn man zwei Leute hatte, die für einen als Bürgen unterschrieben haben.Ich denke, dass gerade in der jüdischen Kultur, der Zusammenhalt die Existenz der Juden heute auf der Welt unterstreicht und begründet. Juden wurden über die letzten 2000 Jahre eine Menge verfolgt. Wir sind eine sehr kleine Gruppierung. Aber der Zusammenhalt hat uns immer die Stärke gegeben. Das wirkt sich bis heute aus. Wenn ein Jude Probleme hat, egal welcher Art, dann ist der Ansprechpartner meistens ein Jude. Man hilft sich gegenseitig. Ob man jetzt religiös ist und die Gebete und alle Regeln der Kultur einhält oder einfach gesellig am Tisch zusammen sitzt. Man spricht über Freudiges und nicht so Schönes - aber der Zusammenhalt ist, nach wie vor, da.Der Gedanke, das Zusammenhalt wichtig ist, wird einem ins Kinderbett gelegt. Das wird von Generation zu Generation weitergeben. Ich spüre schon eine große Zugehörigkeit.

IST ES DIR EGAL OB DEINE KINDER JÜDISCH SIND?
Eigentlich nicht. Auch wenn die Mutter meiner Kinder nicht jüdisch wäre, würde ich schon versuchen, meinen Kindern ein Teil von meinem Glauben mitzugeben. Oder zumindest die Werte, die ich selber auch schätze.

WELCHE WERTE SIND DAS?
Zusammengehörigkeit. Loyalität gegenüber Juden. Ein Teil der kulturellen Aspekte und der Feiertage. Mehr das gesellschaftliche und familiäre hinter unserer Religion. Ich finde Religion ist eine absolute Privatsache. Da sollte jeder Mensch für sich selber eine Entscheidung treffen und sich nicht von außen beeinflussen lassen. Jedes Kind sollte das Recht haben, seine Entscheidung später irgendwann selber zu treffen. Heiligabend haben wir jetzt seit knapp 10 Jahren mit der Familie die Tradition, dass wir immer chinesisch essen.Jom Kippur ist der höchste jüdische Feiertag. Das ist 10 Tage nach dem jüdischen Neujahrstag. Der jüdische Kalender ist anders als der deutsche. Er verschiebt sich jedes Jahr. Neujahr ist aber immer um September, Oktober herum. Jom Kippur ist der Tag der Entscheidung. Man sagt, dass Gott die guten und schlechten Taten eines Menschen auf die Waage legt und entscheidet, ob der Mensch weiterlebt, oder nicht.

DASS JÜDISCHE MENSCHEN VIEL MIT GELD ARBEITEN IST JA KEIN GEHEIMNIS.
WARUM UND WIE HAT SICH DAS SO ENTWICKELT?

Im Mittelalter durften Juden keine Berufe ausüben. Trotzdem mussten sie irgendwie Geld verdienen. Dann haben sich viele Juden mit dem Geldverleih beschäftigt, und mit dem Zinsgeschäft. Ich wusste schon mit 14 Jahren, dass ich anfangen werde, mit Diamanten zu arbeiten. Mit 16 habe ich mein erstes Diplom in Antwerpen gemacht. Das war ein Crashkurs in einem sehr angesehenen Labor. Für Rohdiamanten ist Antwerpen der Hotspot. Für geschliffene Diamanten ist das Tel Aviv.

BASTIAN AMMELOUNX

Religion: Christlich
Alter: 35
Beruf: Deutschland-Chef des Modelabels La Martina
Geboren in: Datteln
Wohnt in: Düsseldorf

HERR AMMELOUNX, SIE SIND TEIL EINES INTERNATIONAL AUFGESTELLTEN UNTERNEHMENS UND TRAGEN SELBST VERANTWORTUNG. WIE HABEN SIE DEN FLÜCHTLINGSSTROM DER VERGANGENEN EINEINHALB JAHRE ERLEBT.
Hunderttausende Flüchtlinge und Einwanderer unterschiedlichen Alters, Geschlechts, mit sehr unterschiedlichen Schicksalen, wollen arbeiten, wollen integriert werden und wollen unsere Sprache lernen. Ich bin für Vielfalt, Offenheit und kulturelles Miteinander. Aber ich denke dass es wichtig ist, dass Menschen die hier herkommen, folgendes verstehen: Die deutsche Sprache muss die Basis sein. Sonst wird es wahnsinnig schwer, dem Menschen überhaupt diese Perspektiven geben zu können. Ich respektiere es auf der anderen Seite völlig, wenn die Menschen keine Integration wollen. Vielleicht akzeptieren sie unsere Lebensformen auch überhaupt nicht. Dass eine Frau zum Beispiel genauso viel wert ist wie ein Mann. Dass es Homosexuelle auf der Straße gibt, die sich küssen. Wenn man das nicht akzeptieren kann, dann muss ich bei aller Toleranz sagen, dass das für diese Menschen vielleicht das falsche Land ist. Dann ist es vielleicht für alle Beteiligten besser zu sagen: Haltet eure Werte hoch, aber dann in dem Land wo ihr geboren worden seit.

WELCHEN EINDRUCK HABEN SIE VOM IHREM ZUSAMMENLEBEN MIT MENSCHEN, DIE EINER ANDEREN RELIGION ANGEHÖREN?
Diese Menschen, die ich kenne und mit denen ich enge Freundschaften habe, sind völlig verschieden, haben aber alle akademische Werdegänge. Es sind auch Menschen, die zu ihrem Glauben stehen und ihn aktiv auch in Deutschland leben. Die meisten haben sich aber auch deutsches Brauchtum angeeignet, oder besser gesagt, sie kombinieren ihre Bräuche mit unseren. Ein Beispiel ist Weihnachten, was bei Christen ja einen hohen Stellenwert hat. Bei Muslimen hat es einen anderen Stellenwert. Aber sie zelebrieren das Fest genauso wie sie den Ramadan zelebrieren.

SIE SIND ALS CHRIST AUFGEWACHSEN. WIE WIRD BEI IHNEN WEIHNACHTEN GEFEIERT?
Weihnachten ist für mich ein absolutes Familienfest. Es war bei uns zuhause immer etwas Besonderes, weil ich auch am 24. Dezember Geburtstag habe. Morgens habe ich Geburtstagsgeschenke bekommen und am Nachmittag Weihnachtsgeschenke. Als Kind war das toll. Weihnachten bedeutet für mich außerdem Entschleunigung. Heute noch mehr als früher. Weihnachten ist für mich eine Zeit, um nachzudenken und um Dinge zu reflektieren. Geschenke sind für mich fast unwichtig geworden. Für mich geht es um quality time mit der Familie.

WELCHER BRATEN SOLLTE AUF DEM TISCH STEHEN? WELCHE AKTIVITÄTEN STEHEN AN? WIE STYLEN SIE SICH?
Es gibt immer eine Gans. Manchmal am ersten, manchmal am zweiten Weihnachtsfeiertag. Kirche gehört dazu, Spaziergänge, ein Weihnachtsbaum und festliche Dekoration im Haus. Wir nutzen Weihnachten auch dazu, um uns schick zu machen, wenn man es so nennen will. Zu Beginn des Abends gibt es einen kleinen Champagner-Umtrunk und dann zum Essen natürlich Wein. Wir versuchen an Weihnachten aber auch, ein gewisses Maß zu halten. Solche Festivitäten werden ja gerne dazu genutzt, um in jeglicher Hinsicht maßlos zu sein. Sei es bei Getränken, Essen oder Geschenken. Konsum allgemein. Ich bin ganz bewusst maßvoll im Umgang mit diesen ganzen Dingen. Damit drücke ich den Menschen die diese Maßlosigkeit nicht so leben können, einen gewissen Respekt aus. Denen es vielleicht nicht so gut geht.

HABEN SIE DA ZWEI HERZEN IN IHRER BRUST, BEIM STICHWORT KONSUM? DENN BEI LA MARTINA MÜSSEN SIE DARAUF ACHTEN, DASS DIE MARKE, FÜR DIE SIE SICH ENGAGIEREN, VERMEHRT ALS GESCHENK AUSGEWÄHLT WIRD.
Aus der beruflichen Perspektive heraus muss ich fairer Weise sagen, dass ich mich natürlich freue, wenn unter vielen Weihnachtsbäumen La Martina-Produkte liegen. Ich persönlich widersetze mich dem Kommerz vor Weihnachten insofern, als dass ich es vermeide, in die Geschäfte zu gehen und einzukaufen. Es ist mir zu viel Stress. Wir leben eh in einer Welt, in der es uns materiell viel zu gut geht.

WAS WÜNSCHEN SIE SICH FÜR DIE NÄCHSTEN JAHRE, WAS DAS ZUSAMMENLEBEN DER UNTERSCHIEDLICHEN MENSCHEN IN NRW ODER IN DEUTSCHLAND BETRIFFT?
Ich wünsche mir Respekt für einander. Ich wünsche mir, dass sie sich gegenseitig zuhören, dass sie aufeinander zugehen und somit das nötige Verständnis füreinander aufbringen. Eigentlich sind das Werte und Anforderungen, die man auch seinem Partner abverlangt. Die eine Partnerschaft ausmachen.

DAS SIND ALLES WERTE DIE EINLEUCHTEN. UNTERSCHEIDEN DIE SICH DENN SO VON DENEN ANDERER KULTUREN? HABEN MUSLIME ANDERE WERTE?
Nein. Ich kann natürlich nur von meiner Familie sprechen und wie ich aufgewachsen bin. Bei uns wird gegenseitiger Respekt sehr groß geschrieben. Mich persönlich macht Respektlosigkeit sauer. Ich lehne Menschen ab, die radikal sind.

BASTIAN AMMELOUNX ÜBER LA MARTINA
La Martina steht für 30 Jahre Modegeschichte. Für Polo. Für mich ist es die authentischste Marke die es gibt. Es gibt Marken, die sich dieses Wort POLO in den Markennamen schreiben und sich dieses Begriffes bedienen, obwohl sie faktisch mit dem Polosport nichts zu tun. Nur wenige Leute wissen, dass La Martina ursprünglich mit der Herstellung von Pferdesätteln, Reitstiefeln und Lederwaren allgemein begonnen hat. Wir stellen auch heute noch den Hardware Supply für den Polosport her. Die Mode war eigentlich eher das zweite Standbein. Heute generieren wir allerdings mit der Mode deutlich mehr Umsatz. Das liegt aber auch daran, dass der Polosport, international betrachtet, eine Nischensportart ist. In Deutschland sind dies die Wurzeln der Marke, auf die wir immer wieder bauen.

La Martina ist zudem eine Lifestyle-Marke, die sich nicht jede Saison neu erfindet. Wir wollen nicht – wie führende Designerlabels – die saisonalen Trendsetter sein. Wir gehen nicht mit jedem Trend. Natürlich ist es auch bei uns so, dass sich unsere Produktmanager und Designer international umschauen und sehen, was links und rechts passiert. Aber ganz entscheidend ist es für uns zu sagen, dass wir diesem authentischen Polo Lifestyle treu bleiben.

Definitiv wird eine Weiterentwicklung in den Kollektionen wichtig sein. Die Dekoration einzelner Produktgruppen wird ruhiger. Auf der anderen Seite müssen wir schauen, dass wir dem Kunden ein breiter aufgestelltes Bild über die Marke geben. Wenn man die Marke La Martina sieht, soll man nicht mehr nur an ein Poloshirt denken, sondern wir haben eine 360 Grad Kollektion. Die beginnt zwar beim Poloshirt, beinhaltet aber alles: Hemden, Anzüge, Lederwaren, Schuhe, Kinderbekleidung. Das ist unsere Aufgabe heute. Ich glaube es geht um einen Lifestyle. Das ist uns als Marke wichtig.

GÖNÜL PEHLIVAN

Religion: Muslimin
Alter: 40
Geboren in: Istanbul
eine Tochter (19)
Beruf: Fernsehmoderatorin

Ich traf Gönül Pehlivan im La Martina Showroom in Düsseldorf-Oberkassel zum Shooting. Die TV- und Event-Moderatorin wurde in Istanbul geboren und lebt seit 26 Jahren in Deutschland. Gönül fühlt sich sowohl in der Türkei als auch in Deutschland zuhause.

Text und Fotos: Ingo Kabutz

WANN BIST DU AUS DER TÜRKEI HIERHER GEKOMMEN? WIE SIND DIE ERSTEN FÜNF ODER 10 JAHRE VERLAUFEN?
Ich kam 1990 mit 15 Jahren allein nach Deutschland, genauer gesagt nach Koblenz zur Oma. Insofern bin ich auch komplett bei der Oma weiter aufgewachsen. Geboren bin ich in Istanbul, einer definitiv sehr modernen Stadt. Als ich dann in Deutschland war, hatte ich den Schock meines Lebens. Zu der Zeit waren meine Landsleute noch nicht so weit wie heute. Türken in Deutschland waren zu der Zeit vor allem Arbeiter, die in Deutschland Geld verdienten und dann irgendwann wieder zurück wollten. Inzwischen sind die meisten ja doch hier geblieben. Als ich 1990 kam, haben türkische Mädchen echt gelitten unter ihrer Fremdheit und Unfreiheit. Ab 1995 hat sich das dann meines Erachtens etwas verändert und ist freier geworden. Die ersten Jahre nach 1990 habe ich jedenfalls keinen modernen Türken hier in Deutschland gesehen.

WAS HEISST FÜR DICH UNMODERN? BIST DU DAS GEGENTEIL DAVON?
Ein Beispiel: Als ich mit 15 in Istanbul gelebt habe, wurden wir frei erzogen. Ich durfte mich mit Freunden, auch mit Jungen treffen. Mein Vater hat das erlaubt. Als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich gesehen, dass das hier - unter Türken - nicht erlaubt war. Zu dem Zeitpunkt habe ich auch noch kein Deutsch gesprochen.

HEISST MODERN ZUM BEISPIEL: EINE WELTLICHE AUSPRÄGUNG WIE KEMAL ATATÜRK SIE LEHRTE?
Richtig, ich bin auch Kemal Atatürk-Fan. Ich musste erst mal Deutsch lernen. Integration fängt ja bei der Sprache an. Du musst dich artikulieren und die Menschen verstehen können. Wie ticken die Deutschen? Was mögen die gerne? Ich musste in dieser Gesellschaft leben. Also habe ich gesagt: Okay! Ich wurde in der Schule angemeldet. Erst musste ich also die Sprache lernen, um mich verständlich machen zu können, um mein Denken ausdrücken zu können. Ich habe in sechs Monaten die deutsche Sprache gelernt. Das funktioniert, wenn du dich auf die Deutschen einlässt. Das bedeutete für mich, dass ich nur deutsche Freunde hatte und mich von türkischen Freunden abgekapselt habe. Ich habe gemerkt, dass die teilweise auch nicht so gut deutsch sprechen konnten.

WARUM BIST DU ALLEINE NACH DEUTSCHLAND GEKOMMEN?
Meine Eltern haben sich getrennt, und dann bin ich zu meiner Oma gekommen. Für eine bessere Zukunft.

IN WELCHE SCHULE BIST DU GEKOMMEN?
Meine Empfehlung war das Gymnasium, aber da mein Deutsch noch nicht gut genug war, bin ich auf die Hauptschule heruntergestuft worden. Ich habe den Abschluss in eineinhalb Jahren mit guten Noten geschafft.

DANN BIST DU FRÜH IN DEN BERUF GEGANGEN. WIE WAREN DIE ERSTEN SCHRITTE UND WIE HABEN SICH DIE ANGEFÜHLT?
Ich habe zahnmedizinische Fachfrau gelernt und war in diesem ersten Beruf auch sehr gut. So wie die Schicksale sind, habe ich sehr früh geheiratet und ein Kind bekommen und dann war die Scheidung da und ich musste mich neu orientieren. Dann gab es eine Miss-Türkei-Wahl in Koblenz und ich habe gedacht: „Komm, ich mache mal mit!“ Das war im Jahr 2000. Da wurde ich Zweite und danach habe ich angefangen, für türkische Fernsehsender zu arbeiten. Durch die Miss Wahl habe ich viele Aufträge bekommen, auch weil ich perfekt türkisch spreche.

DU WARST JUNG, KLUG UND SCHÖN, HAST PERFEKT TÜRKISCH GESPROCHEN UND DIE MEDIEN SIND AUF DICH AUFMERKSAM GEWORDEN. WAS WAREN DIE WICHTIGSTEN SCHRITTE IN DEN NÄCHSTEN JAHREN? WAS HAT DICH NACH VORNE GEBRACHT?
Ich hatte keine Konkurrenz, weil diese Branche in Deutschland noch nicht so ansässig war. Ich war die einzige Moderatorin, die neben deutsch auch perfekt türkisch gesprochen hat. Ich habe meine Chance genutzt.

ABER DAS HIESS AUCH FÜR DAS GANZ NORMALE LEBEN, DASS DU DICH ALS ALLEIN ERZIEHENDE FRAU UNTERSCHIEDLICHSTEN HERAUSFORDERUNGEN HAST STELLEN MÜSSEN.
Richtig, es war nicht einfach. Mein Kind ist in der Zeit in Fernsehstudios aufgewachsen, aber ich wollte auch keine Tagesmutter haben, weil ich selber von einer Familie komme, die sich getrennt hat. Ich wollte meinem Kind nicht zumuten, dass es von einer anderen Person, als der Mutter, erzogen wird. Ich habe sie immer mitgenommen. Es war nicht einfach, aber es hat geklappt.

WO KONNTE MAN DIE FERNSEH-SENDUNGEN SEHEN?
Weltweit über Satellit. In der Türkei gab es eine Hauptsendung.

WIE HAT SICH DAS DANN WEITER ENTWICKELT? WAREN INTEGRATIONSFRAGEN FÜR DICH GANZ SELBSTVERSTÄNDLICH UND EINFACH?
Für mich war das Leben was Integration anbelangt ganz einfach. Ich habe nichts Negatives erlebt, weil ich mich schnell integriert habe (ich mag dieses Wort nicht). Ich lebe hier so, das ist mein Lifestyle. Ich bin sehr westlich und habe mich hier wiedergefunden. Das war für mich sehr einfach. Klar gibt es deutsche Sitten und türkische Sitten die nicht zueinander passen, wenn man das so sieht, aber ich hole mir immer das Positive aus jeder Nationalität heraus. Deswegen komme ich auch weiter.

GAB ES EINEN GROSSEN UNTERSCHIED ZWISCHEN DEINEM LIFESTYLE UND DEM DEINER FREUNDE UND BEKANNTEN, ODER HAST DU DAS IMMER ALS UNPROBLEMATISCH EMPFUNDEN? STICHWORT MIGRATIONSHINTERGRUND?
Ich kann von meiner Seite aus nichts erzählen, ich habe eigentlich nie etwas Schlimmes erlebt. Ich wurde immer gut empfangen und behandelt.
 
SIND UNTER DEINEM BEKANNTENKREIS UND UMFELD AUCH TRADITIONELLE TÜRKEN ODER AUCH TÜRKINNEN, DIE EIN KOPFTUCH TRAGEN.
Nein, ich habe einen großen internationalen Freundeskreis. Aber traditionelle lebende Türken sind nicht darunter.

ZU DER FRAGE: „DU DENKST DEUTSCH UND FÜHLST TÜRKISCH“, WAS HEISST DAS?
Ich denke deutsch heißt: ich bin sehr deutsch diszipliniert. Die Deutschen mögen die Pünktlichkeit und sind sehr genau. Das hat mich geprägt. Das mag ich und so arbeite auch ich auch. Das ist wirklich anders im Vergleich zu türkischen Eigenschaften. Ich mache immer gerne Späße wenn ich in der Türkei bin und vergleiche die türkische Uhrzeit und die deutsche Uhrzeit (lacht). Die deutschen Kunden verlangen diese Pünktlichkeit und Genauigkeit auch. Diese Professionalität finde ich toll. Und das Türkische ist in meinem Herzen. Ich bin Türkin und ich bin dort aufgewachsen. Ich liebe mein Land und meine Landsleute. Ich liebe aber auch Deutschland und lebe hier gerne. Das ist mittlerweile mein Wahl-Land und ich würde es nicht verlassen.

DU FÜHLST UND TRÄUMST AUF TÜRKISCH?
Je nachdem. Mit meiner 19-jährigen Tochter spreche ich auch manchmal deutsch und manchmal türkisch. Wir sind frei. Ich spreche ja mit einer modernen türkischen Frau, die sich hier wohlfühlt und sich mit den Werten und Bedingen des Zusammenlebens mehr als arrangiert hat. Die sie für sich angenommen hat.

DAS WEIHNACHTSGEFÜHL, ABER AUCH DER OFFENSICHTLICH UNTRENNBAR DAMIT VERBUNDENE KOMMERZ UND DIE TRADITION, ENTSPRECHEN JA GEBALLT DER DEUTSCHEN KULTUR. WIE FEIERST DU IN DEINEM UMFELD ADVENT, WEIHNACHTEN UND SILVESTER?
Bei uns gibt es ja eigentlich kein Weihnachten. Aber wir feiern Silvester und zwar richtig. Aber Weihnachten hat für mich eine schöne Bedeutung. Die Familien kommen zusammen. Das ist ein Beispiel dafür, dass ich mir immer das Positive aus den Gewohnheiten der jeweiligen Kultur heraushole. Der Prophet Jesus ist ja auch für uns geboren, das wird gefeiert.

Weihnachten ist eine schöne Angelegenheit, die ich auch gerne feiere – auch wenn es nicht zu unseren Sitten gehört. Meine Tochter hat mich, als sie in den Kindergarten gekommen ist, darauf aufmerksam gemacht. Da war ich selber noch jung und nicht so eine bewusste Mutter. Sie sagte zu mir: Alle Kinder freuen sich auf Weihnachten und bekommen Geschenke. Das möchte ich auch. So hat das angefangen. Da habe ich gemerkt, dass man sich, auch was das angeht, integrieren kann oder auch muss, wenn man ein Kind hat. Die Wahl steht natürlich bei einem selber, aber ich wollte es meiner Tochter zuliebe feiern. Sie hatte Spaß daran, einen Baum zu schmücken. Für mich war es aber auch eine Bereicherung mit meinen Freunden in der Adventszeit zusammen zu sitzen und das Fest zu feiern. Gegenseitige Integration ist sehr wichtig. Es macht mir nach wie vor Spaß, Weihnachten zu feiern. Aber wenn ich Freunde zu mir einlade, gibt es keinen Sauerbraten, sondern türkisches Essen (lacht).

WAS SIND FÜR DICH PERSÖNLICH DIE ZWEI BIS DREI WICHTIGSTEN BRÄUCHE AN WEIHNACHTEN?
Ohne Weihnachtsbaum gibt es kein Weihnachten. Ich habe auch einen Adventskranz. Und die Geschenke ... und das Essen.

WELCHE PRIVATEN PLÄNE HAST DU FÜR DAS KOMMENDE JAHR?
Ich habe mir vorgenommen, einen bestimmten Weg zu gehen und habe noch viele Ziele, die ich verwirklichen möchte. Zum Beispiel habe ich vor kurzem ein Angebot für ein internationales Projekt erhalten, dass mir sehr viel Spaß machen wird. Alliance Cinema und ich sind eine Kooperation eingegangen über ein internationales Fernsehprojekt. Mehr darf ich leider nicht sagen. Und grundsätzlich ist der Glaube an sich selbst sehr wichtig. Ich möchte immer schaffen was ich mir in den Kopf gesetzt habe. Zum Schluß noch einen Satz zu einem neuen Hobby: Ich habe vor kurzen das Tanzen für mich entdeckt. Ich wurde angefragt, ob ich beim Düssalsa Latin Festival zu Gunsten des Kinder- und Jugendhospiz Regenbogenland tanzen möchte. Mein Antwort war ja. Immer wenn es was Gutes zu tun gibt, bin ich dabei und helfe gerne. Diesmal sollte ich tanzen und  moderieren. Mein Tanzlehrer Cleo Reyna hat jeden Tag  mit mir trainiert, damit ich mit den Profis tanzen kann. Seitdem tanze ich Salsa und es macht mich sehr glücklich. 

GÖNÜL, ICH DANKE SEHR FÜR DAS INTERVIEW

RIADH BEN HAMID

Religion: Muslim
Alter: 41
Beruf: Zahnarzt
Geboren in: Düsseldorf
Wohnt in: Düsseldorf

Riadh Ben Hamid wurde in Deutschland geboren, seine Eltern sind 1970 nach Deutschland eingewandert. Die siebziger Jahre – das war noch die klassische Generation der Gastarbeiter. Die Generation derjenigen, die eigentlich nur für zwei Jahre kommen wollten, um dann wieder in die Heimat zurück zu gehen. Die Familie Ben Hamid ging nicht zurück sondern blieb.

Wie Riadh selbst sagt, ist er also ”ein klassisches Kind mit Migrationshintergrund, wie man das heute formuliert“. Er ist hier geboren und aufgewachsen und hat das gleiche Schicksal wie ganz viele andere: Die Heimat der Eltern kennt man aus dem Urlaub und hat eine stärkere Verbundenheit mit dem Ort, wo man aufgewachsen ist und wo man zur Schule gegangen ist, als mit dem Ort der Eltern.

Riadh spricht Arabisch. Er hat aber aber nie gelernt, in dieser Sprache zu schreiben. Er ist, wie er es formuliert, „tunesisch angehaucht“, auch durch seinen Job als Zahnarzt. Die Praxis hat viele tunesische Kunden und auch Patienten aus dem Nahen Osten. Somit konnte er sich das Hocharabisch etwas aneignen, sowie auch unterschiedliche Dialekte aus Barain oder Katar. Ansonsten spricht er Französisch, Englisch und Deutsch. In unserem Gespräch zeigt sich schnell, dass Riadh Ben Hamid nicht nur interessiert ist an dem Thema, sondern er gestaltet das Interview entspannt, aber sehr engagiert.

HERR BEN HAMID, KOMMEN ARABISCHE PATIENTEN GEZIELT ZU IHNEN?
Man muss unterscheiden: Wir haben einmal den Bereich der Patienten, die aus Düsseldorf und Umgebung kommen. Das sind Patienten die ganz klar auf Empfehlung kommen. Ich habe italienische, griechische, portugiesische und arabische Patienten. Klar sagen viele, dass aufgrund der Herkunft eine gewisse Affinität da ist. Wenn es einen türkischen Arzt gibt suchen manche türkische Mitbürger den auch gerne auf. Weil entweder ein gewisses Vertrauen da ist oder es noch eine sprachliche Barriere gibt und man sich so besser mitteilen kann. Die arabischen Patienten, die aus den warmen Regionen fliehen und den Sommer hier mit angenehmeren Temperaturen verbringen, kommen auch teilweise auf Empfehlung von Netzwerkpartnern wie Hotels, Einzelhändlern oder Kosmetikanbietern, mit denen wir zusammen arbeiten.

WIE ERLEBEN SIE PERSÖNLICH DAS ZUSAMMENLEBEN VON MENSCHEN UNTERSCHIEDLICHER RELIGION.
Ich stehe relativ offen zu den einzelnen Religionen. Den klassischen Konflikt, den es offenbar zwischen Judentum, Muslimen oder Christentum gibt, sehe ich so: Wir haben ja im Prinzip die gleichen Schauplätze, die gleichen Protagonisten, die nur in unterschiedlicher Zeit interpretiert worden sind. Aber die drei großen monotheistischen Religionen – also Judentum, Christentum und Islam, etwas genauer betrachtet – spielen an den gleichen Standorten. Es gibt da sehr viele Parallelen. Ich habe das in meiner Familie nicht so gelernt, dass ich aufgrund der Religion irgendjemanden diskriminiere. In Tunesien haben wir viele große jüdische Gemeinden. Es gibt auch arabische Christen. Ich selbst bin von klein auf mit einer deutschen Tagesmutter großgeworden, da meine Eltern berufstätig waren. So gab es bei mir Sauerkraut. So habe ich auch die „deutschen Tugenden“ wie zum Beispiel Ordnung und Pünktlichkeit mit auf den Weg bekommen. Mein Vater war Industriemeister und hat sich zum Ingenieur weitergebildet. Meine Mutter hat bei der Bank gearbeitet. Klar gibt es als Kind immer mal Reibereien, das kennt man doch. Wenn jemand dunkle Haare hat und der andere ist blond. Natürlich wird man da mal gehänselt. Aber am nächsten Tag ist es dann der mit den Sommersprossen und dann der mit den Segelohren. Die Kinder machen es sich ja leicht und dann hört man mal „Du Ausländer, du Kanacke“, aber es ist meistens nicht so gemeint. In der Hinsicht habe ich also als Kind in den 80ern und 90ern keine extremen Formen der Diskriminierung wahrgenommen. Das was heute aktuell ist, dieser Konflikt zwischen Leuten der verschiedenen Religionen, in der extremen Form wie es heute in den Medien dargestellt wird, habe ich es als Kind nicht wahrgenommen. Integration ist als Kind sehr spielerisch. Wenn eine Familie in ein fremdes Land kommt und das Kind dort zur Schule oder in den Kindergarten geht, bringt es im Prinzip allein dadurch die Integration in die Familie rein. Eigentlich ist es konkret seit dem 11. September schlimmer geworden. Den Muslim als Feindbild gab es vorher so nicht. Es gab in den 80ern und 90ern auch Leute die verschleiert umhergelaufen sind. Ich finde, dass insbesondere in den letzten 5-6 Jahren dieser extreme Islam von den Medien auch propagiert wird. Das funktioniert ja heute auch ganz anders mit den sozialen Medien und Netzwerken.

SIND SIE EIN GLÄUBIGER MUSLIM?
Ich bin nicht fromm erzogen worden. Bei meinem Opa war es zum Beispiel ganz normal, dass es auch alkoholische Getränke zum Essen gab. Das war alles sehr europäisch. Wir wussten vom Blut her, dass wir Muslime sind und dass wir muslimisch denken müssen. Aber wenn man sich die Grundwerte anschaut, die im Koran stehen, wie: „Liebe deinen Nächsten“, „Sei gut“, „Tue nichts Böses“, so kann man das auf das Judentum, auf den Buddhismus und auf das Christentum gleichermassen anwenden. Das sind Grundregeln einer universellen, guten Erziehung und eines guten Miteinanders.

WIE MACHEN SIE UND IHRE FAMILIE AN WEIHNACHTEN?
Es ist ganz schön: Wir haben frei, das heißt alle kommen zusammen. Normalerweise sind muslimische Familien ja sehr groß. Meine ist nicht so groß, weil ich nur eine Schwester habe. Wir nutzen die Freizeit, um Heiligabend alle zusammen zu kommen und zusammen zu essen. Es wird gut aufgetischt, wie das ja meistens ist, wenn sich die südländischen Familien treffen. Aber es gibt jetzt nicht den Braten, oder den Karpfen. Am ersten und zweiten Weihnachtstag bin ich meistens bei Freunden eingeladen, die christlich sind. Bei einer befreundeten italienischen Familie verbringe ich meistens den Ersten Weihnachtsfeiertag und am Zweiten bin ich bei einem Kollegen von mir, bei dem es meistens Gans gibt. Früher als Kind gab es auch einen Tannenbaum bei uns, weil ich das als Kind schön fand. Sie fanden es wichtig zur Integration, damit wir nicht ausgeschlossen waren. Ab der zweiten Klasse allerdings, fanden meine Eltern es zu aufwendig mit den Nadeln und allem (lacht).

WAS TRÄGT MANN ZU WEIHNACHTEN?
Ich trage keinen Smoking aber dem Anlass entsprechend gepflegt. Nicht in Schlabberhose und Turnschuhen. Man zieht sich schon festlich an. Wenn zu Familienfesten eingeladen wird dann ziehen wir uns auch schön an. Das ist ja auch eine Form des Respekts dem man dem Gastgeber gegenüber gibt.

WIE SOLLTEN WIR GEMEINSAM DIE WELT VERBESSERN IN DEN NÄCHSTEN 12 MONATEN?
Menschen sollen offener und ehrlicher miteinander umgehen und Menschen aller Religionen respektieren. Das ist der erste Schritt. Wir sollten nicht aufgrund unserer Hautfarbe oder Herkunft jemanden diskriminieren. Ein Lächeln zum Beispiel ist international. Da gibt es keinen Unterschied und auch keine sprachliche Barriere.

SANDRA & PAUL LACHACZ

Religion: Christen
Wohnen in: Unna-Billmerich
Verheiratet, drei Kinder
Beruf: Sandra: Konditorin;
Paul: Versicherungskaufmann

Paul Lachacz wurde in Polen geboren und trägt einen altpreussischen Namen. Lachacz steht für „Lachen“. Und diese Fröhlichkeit sieht man Paul auch an. Mit sieben Jahren zog er nach Unna-Königsborn und wuchs dort auf. Mit Anfang 20 lernte er seine Frau Sandra auf Mallorca kennen. Sandra kommt aus Aachen und ist aus Leidenschaft Konditorin. Nach einem Jahr Fernbeziehung gab Sandra der Liebe willen ihre Heimat auf und zog zu Paul nach Unna. Was sie nicht aufgab, war ihre Liebe zum Beruf und ihren Traum, eine ländliche Bäckerei mit Shop, Café und allem Drum und Dran zu führen. Dann kam das Angebot in Billmerich: Eine Bäckerei, die schon seit Jahren leer steht. Ein ganzes Dorf, dass überhaupt keine Einkaufsstätte mehr hat und dafür eine ganze neue Siedlung fast mitten im Dorf, in der überwiegend junge Familien ihr neues zuhause gefunden haben.PURE LEBENSLUST sprach mit Sandra und Paul Lachacz im Interview über ihre Anfänge in Unna-Billmerich, über Gott und die Welt und über ihre Erfahrungen mit Menschen, die einer anderen Religion als der christlichen angehören.

SANDRA, VON AACHEN IN DAS ÖSTLICHE, LÄNDLICHE RUHRGEBIET. EIN KULTURSCHOCK?

Zu Beginn fühlte ich mich schon recht allein. Meine ganze Familie und meine Freunde wohnen ja in Aachen. Mittlerweile haben wir drei Kinder und wir sind nach Billmerich gezogen. Alles ist gut.

PAUL, WELCHEN BERUF HAST DU GELERNT UND WIE BRINGST DU DICH IN DIE BÄCKEREI EIN?

Ich bin Kaufmann für Versicherungen und Finanzen. Das ist auch heute noch der Job, in dem ich arbeite. Ich habe eine Generalagentur in Dortmund innerhalb der Kreishandwerkerschaft. Eine eigene Bäckerei war schon immer Sandras Wunschtraum und als dieser Laden hier zum Verkauf stand, haben wir nicht lange überlegt. Das war dann die Investition in ihren Traum. Ich bin Verkäufer und Berater durch und durch und wollte auch nie etwas anderes machen. Somit bin ich jetzt hier im Hintergrund. Ich schaue mir die Zahlen an und das alles richtig läuft. Aber das Handwerk macht sie. Und es läuft gut.

DIE BÄCKEREI STAND JA LANGE LEER. WIE HART WAR ES, SIE WIEDER ZUM LEBEN ZU ERWECKEN UND DIE BILLMERICHER ZU ÜBERZEUGEN?

Paul: Am Anfang war es schon hart. Sandra hat 16 bis 17 Stunden pro Tag an sieben Tagen die Woche malocht. Dann überlegt man sich wieder: „Ist es das Ganze wert“? Vorher haben wir uns eigentlich wohlgefühlt im Familienleben. Finanziell ging es uns auch nicht schlecht. Man fragt sich schon mal: „Was tut man sich da an“? Aber wenn man zwei Jahre zurück blickt: Wir bereuen es nicht, dass wir diese Entscheidung getroffen haben. Wir haben uns dadurch ein zweites Standbein aufgebaut.

FÜR UNS BILLMERICHER IST ES EINE BÄCKEREI, ABER ES IST EIGENTLICH EINE KONDITOREI, ODER?
Sandra:
Ja, genauer gesagt: ein Back & Shop. Wir haben auch einige Lebensmittel. Ziel ist es, vielleicht mal eine Konditorei mit Bäckerei zu machen, aber wir wollen allen etwas anbieten, weil es ja in der näheren Umgebung keine anderen Läden gibt. Es wohnen ja auch viele ältere Menschen hier, die die Mobilität nicht haben. Und … wir wollen auch eine gehobene Qualität herstellen und verkaufen. Wir hätten auch nicht gedacht, dass die Nachfrage nach Konditorprodukten so hoch ist. Gebäck und Kuchen sind mittlerweile die Hauptumsatzträger. Vorher war es ein reines Brötchen- und Brot- Geschäft.

KOMMEN WIR ZUM THEMA „ZUSAMMENLEBEN MIT MENSCHEN, DIE EINER ANDEREN RELIGION ANGEHÖREN“. HABT IHR VIELE KONTAKTE ZU ANDERSGLÄUBIGEN?
Sandra: Fast 60 Prozent meiner Mitschüler waren Muslime. Für mich war das total normal. Das Zusammenleben war normal, sie waren Teil meines Freundeskreises.
Paul: Ich habe auch im Kundenkreis viele Andersgläubige. Man respektiert sich gegenseitig, und macht sich auch keine Gedanken darüber. Jeder hat ein Recht darauf, zu glauben was er will. Andersgläubige sind ganz normale Nachbarn und Freunde wie ich und du. Ich sehe keinen Unterschied.

WIE FEIERT IHR WEIHNACHTEN?
Sandra: Dieses Jahr feiern wir mit Pauls Eltern in Königsborn. Es gibt kein Fleisch, sondern zwölf verschiedene polnische Gerichte. Zum Beispiel Piroggen, viel Gemüse und Salat.
Paul: Vor dem Essen gehen wir in die Kirche und bedanken uns für das Jahr. Es wird Brot und Salz mitgebracht und man wünscht sich Glück für das neue Jahr. Man segnet sich gegenseitig. Dann wird gegessen und dann ist Bescherung. Seitdem ich Sandra kenne, feiern wir mal so und so.
Sandra: Das heißt, manchmal feiern wir Weihnachten auch traditionell deutsch. Dann gibt es Sauerbraten, Knödel und Rotkohl.

ICH DANKE EUCH VIELMALS FÜR DAS GESPRÄCH.

METRA & ZAFAR HADAFMAND

Religion: Muslime
seit 1 Jahr verheiratet
Alter: Metra 20, Zafar 30
Zafar‘s Beruf: Art Director
Geboren in: Kunduz, Afghanistan
Wohnen in: Unna

METRA, WIE BIST DU GROSS GEWORDEN? WIE WAR DER ALLTAG? WIE WAREN SCHULE UND FAMILIENLEBEN?
Ich bin in einer Großfamilie, mitten in Stadt Kabul aufgewachsen. Mein Vater ist ein bekannter Staatsanwalt, der gegen Drogenbarone ermittelt, sie sucht und verhaftet. Er war gefürchtet in Afghanistan und deswegen war sein Leben dort auch in Gefahr. Wir waren insgesamt neun Kinder zuhause und haben eigentlich die ganze Zeit zusammen verbracht. Nach der Schule haben wir zusammen gegessen, Hausaufgaben gemacht und zusammen gespielt.

WIE WAR DER ALLTAG BEZÜGLICH GEFAHREN?
Wenn man dort aufgewachsen ist und dort lebt, hat man nicht so eine große Angst, weil man nichts anderes kennt. Es ist schon gefährlich. Aber wenn man es von der Ferne aus sieht hat man mehr Angst, denke ich. Man ist daran gewöhnt und es ist normal.
Zafar: Als ich letztes Mal zurückgeflogen bin, hatte ich auch Angst, dorthin zu fliegen. Aber als ich dort war dachte ich schnell: So viele Menschen leben hier, gehen zur Schule, gehen raus und grillen. Das ist halt so, es ist normal.
Metra: Wenn wir mit dem Auto unterwegs waren und es zu einem Stau kam oder irgendwelche Armeefahrzeuge in der Nähe waren, hatte ich schon Angst. Das ist das Gefährlichste wenn Autos von der Regierung in der Nähe sind. Die sind das Ziel der Taliban. Es ist ihnen egal, ob da Zivilisten mit drauf gehen. Deswegen hält man immer Abstand von Armee- oder Regierungsautos. Das sind die mit den schwarzen Kennzeichen.

WIE WAR DEIN ALLTAG ALS MUSLIMISCHES MÄDCHEN IN KABUL? MUSSTEST DU DICH VERSCHLEIERN?
Metra:
Es gibt da Unterschiede. Es gibt Frauen, die sich komplett verschleiern, auch das Gesicht. Es gibt welche, die ein Kopftuch tragen, wo man nur das Gesicht sieht und es gibt welche, die einfach ein Tuch auf den Kopf drauf legen. Und so bin ich auch durch die Straßen gegangen. Man hat schon auch meine Haare gesehen. Es ist mehr die Andeutung einer Verschleierung. Es wurde auch empfohlen, etwas dabei zu haben, um sich zu bedeckten, falls ein komischer Mann vorbei kommt.

BIST DU IN EINER GLÄUBIGEN FAMILIE AUFGEWACHSEN? WIE WURDE DER GLAUBE AUSGELEBT? GAB ES VORSCHRIFTEN?
Metra: Wir sind natürlich gläubig. Die Vorschriften kamen von den Eltern und den älteren Brüdern. Sie meinten, dass das, was man über den Islam wissen muss, im Koran steht und die Hauptsachen sind: Man soll nett sein und niemanden schlecht behandeln. Der Rest kommt von alleine. Das ist die Religion. Sei nett zu dir selber und zu deiner Umwelt. Jetzt sind Menschen gekommen, die unter der Flagge von IS und Taliban, angeblich den Islam verbreiten wollen. Das sind keine Moslems, sondern Terroristen. Die meisten kennen nicht mal Verse aus dem Koran. Das sind ungebildete Menschen, die eigentlich keine Ahnung haben. Das einzige was sie machen können ist Terror zu verbreiten. Von Religion haben sie keine Ahnung.

DAS IST EIN WICHTIGER ASPEKT, DEN WIR IN DEUTSCHLAND AUCH ERST MAL IMMER WIEDER LERNEN MÜSSEN. DIE PROBLEMATIK IST, DASS DIE DEUTSCHE BEVÖLKERUNG EIN GANZ VERZERRTES BILD HAT. ICH HABE JETZT MIT SO VIELEN MUSLIMEN GESPROCHEN, DIE SICH IM GRUNDE VON IHREN WERTEN ÜBERHAUPT NICHT VON CHRISTEN UNTERSCHEIDEN. DIE 10 GEBOTE SIND ÄHNLICH WIE DIE WICHTIGSTEN REGELN UND GEBOTE IM ISLAM. ICH HABE AUCH ERFAHREN, DASS DIE ALLERMEISTEN DEN KORAN ÜBERHAUPT NICHT LESEN KÖNNEN, WEIL ER IN ARABISCH GESCHRIEBEN WURDE. INSOFERN IST ES JA EINE GEHEIMWISSENSCHAFT WIE DIE BIBEL, BEVOR MATIN LUTHER SIE ÜBERSETZT HAT. DA WAR SIE IN LATEIN UND IN ALTGRIECHISCH UND DIE KATHOLISCHE KIRCHE HAT AUCH TERROR GEMACHT, BIS MARTIN LUTHER SIE ÜBERSETZT HAT UND DIE LEUTE WUNDERTEN SICH PLÖTZLICH: ACH, DAS STEHT DA DRIN!
Zafar: Der Islam hat ja fünf Säulen: Das Glaubensbekenntnis („La ilaha illa Allah wa Muhammad rasul Allah“. Das heißt soviel wie „Es gibt keinen Gott außer Allah und Mohammed ist sein Prophet“, das Gebet (fünf Mal am Tag soll ein Moslem beten), das Fasten (30 Tage während des Monats Ramadan),
Unterstützung der Bedürftigen( wer nicht selber verschuldet ist, soll 2.5% seines „Ruhenden Kapitalvermögens“ spenden.

Die Pilgerfahrt nach Mekka (1 x im Leben sollte jeder Moslem eine Reise nach Mekka aufnehmen, wenn er dazu körperlich und finanziell in der Lage ist.) Es geht nicht darum, dass du dein Kopftuch tragen sollst oder dass du nicht mit Christen befreundet sein sollst. Christen und Juden sind unsere „Glaubensbrüder“. Das steht sogar im Koran und es steht auch sehr viel über Jesus, er ist für uns auch ein großer Prophet. Zur „Almosen - Säule“: Das ist in Afghanistan so wie die Versicherung hier. Das machen wir nach dem Ramadan. Keiner ist in unserem Sinne hier in Deutschland so bedürftig, wie einige Menschen in Afghanistan in Moment. Wir telefonieren dann mit unseren afghanischen Verwandten. Alle schauen sich um und man soll sich fragen, wer es grade nötig hat. Wenn sie jemanden bestimmt haben, sammeln wir - auch für andere afghanische Familien - und schicken das Geld direkt rüber. Das läuft nicht über irgendwelche Organisationen. Da weiß man nie was am Ende da raus kommt. Bei den Nachbarn meiner Großeltern zum Beispiel ist der Mann gestorben. Sie hatten keine Kinder und keinen Versorger mehr. Da sind wir für ein ganzes Jahr für die Miete aufgekommen. Und nächstes Jahr ist dann jemand anderes dran.

ALSO SOZIALE VERSORGUNG, DIE HIER SELBSTVERSTÄNDLICH IST, KOMMT DORT VON DEN FAMILIEN UND VON PRIVAT UND ANSONSTEN GIBT ES AUCH NICHTS?
Nein es gibt so viele Arbeitslose. Aber man schlägt sich durch. Man solltes eigentlich nicht direkt an Familienangehörige spenden. Am besten, man spendet an jemanden, mit dem man nicht verwandt ist. Das was hier der Staat ist, sind in Afghanistan die Religion und die Menschen. Sie helfen weiter, obwohl sie selbst fast nichts haben. Man merkt an solchen Beispielen, dass es notwendig ist, dass die Menschen viel mehr voneinander lernen, weil die Vorurteile ansonsten das Denken bestimmen und nicht die Wirklichkeit.

METRA, WO LEBEN DEINE ACHT GESCHWISTER UND DEINE ELTERN JETZT?

Meine Eltern leben mit einem Bruder und den drei jüngsten Schwestern in New York. Ein Bruder wohnt in Dänemark und die älteste Schwester und Bruder leben immer noch in Kabul. Die sind dort verheiratet und haben Kinder.

HAT MAN ALS AFGHANISCHES KIND ODER JUGENDLICHER KONTAKT ZU MENSCHEN ANDERER GLAUBENSGEMEINSCHAFTEN?
Ich kannte niemanden, aber es gibt sehr viele Hindus, die seit Jahrhunderten in Afghanistan leben. Sie leben immer noch da, aber es sind sehr wenige. Durch die Taliban wurden sie verfolgt und getötet. Deswegen sind viele gegangen. Einige sind aber zurückgekommen, weil Afghanistan ihre Heimat ist.

WANN WAR ES FÜR DICH ODER FÜR DEINE ELTERN KLAR, DASS DU KABUL VERLÄSST? WAR DER ANLASS DIE HOCHZEIT UND DAS KENNENLERNEN MIT ZAFAR, ODER HATTEST DU SOWIESO GEPLANT, DASS DU WEGGEHST?
Meine Eltern hatten sowieso vor, wegzugehen. Einfach weil das Leben für meinen Vater sehr gefährlich war. Mehrere Kollegen von ihm wurden entführt und sie wurden nie wieder gesehen. Autos sind hochgegangen und explodiert. Er wurde auch ständig verfolgt. Zafar kam 2011 zum ersten Mal wieder nach Kabul, nachdem er nach Deutschland geflüchtet war. In dem Jahr haben wir uns auch kennengelernt. Da war es aber noch nicht klar, dass wir heiraten werden. Da wollte ich zwar auch schon weg, aber nach Amerika. Als wir über Heirat und Zukunft gesprochen haben, bin ich dann zu ihm nach Deutschland gekommen.
Zafar: Unsere Familien kannten sich schon als wir noch Kleinkinder waren. Ich habe Metra auf einer Grillparty kennengelernt. Ihr Bruder wohnt in Dänemark und seine Frau ist mit ihr befreundet. Dann hat sie Metra gesagt, dass wir uns doch mögen und dass sie mich doch mal anschreiben soll und so weiter...(lacht). Und ob sie mich nicht näher kennenlernen möchte. Sie müsse doch auch mal heiraten. Bei uns Afghanen geht das sehr früh los. Jedenfalls hat sie den Kontakt hergestellt und ich habe mit ihr gesprochen und sie kennengelernt. Dann haben unsere Familien miteinander gesprochen. Als alle zugestimmt haben ging das alles sehr schnell.

METRA, WIE HAT SICH NÄHE UND GEFÜHL ENTWICKELT? WANN GAB ES EINEN ZEITPUNKT AN DEM DU DACHTEST: DAS KÖNNTE MEIN MANN SEIN?
Ich habe mich natürlich erst mal nicht verliebt. Das kam langsam, nachdem wir uns näher kennengelernt haben. Als ich mehr über ihn erfahren habe und wusste wie er so ist. Das hat schon ein paar Monate gedauert, bis ich mich in ihn verliebt habe.

WAS MAGST DU AM LIEBSTEN AN ZAFAR?
Seine charmante Freundlichkeit und seine ganze Art als Mensch.

VON DEM MOMENT AN, ALS DU WUSSTEST: ICH GEHE NACH DEUTSCHLAND, WELCHES GEFÜHL HATTEST DU? WELCHE ERWARTUNGEN UND WELCHES BILD HATTEST DU VON DEUTSCHLAND?
Ich habe mich sehr gefreut, dass ich zu Zafar komme und das wir zusammen leben können. Auf Deutschland habe ich mich nicht so sehr gefreut, weil ich mich zuhause wohlgefühlt habe. Alle meine Freunde und meine Familie waren da. Außerdem hatte ich auch Freunde und Verwandte in Deutschland, die mir erzählt haben, dass es hier langweilig ist. Wenn man gerade aus Afghanistan kommt und nach Deutschland geht, ist es wirklich so: Alle gehen arbeiten, nach der Arbeit gehen die meisten nach Hause und am Wochenende gehen sie vielleicht raus. In Afghanistan hat man eigentlich die ganze Zeit ein Gefühl von Wochenende. Die Arbeitstage sind nicht so lang wie hier. Die Tage sind insgesamt auch viel länger. In Afghanistan ist man eigentlich die ganze Zeit draußen und ist unter Menschen. Deswegen habe ich mich hier am Anfang erst mal ein bisschen gelangweilt. Man muss sich hier Beschäftigung suchen.

WIE IST DEIN GEFÜHL IM MOMENT HIER IN DEUTSCHLAND ZU LEBEN UND ZU DEINER UMGEBUNG? WAS WÜNSCHST DU DIR FÜR DIE NÄCHSTEN ZWEI JAHRE?
Mein erster Plan ist, dass ich ganz schnell so gut Deutsch lernen will, wie es nur geht. Danach will ich arbeiten. Am liebsten als Kindergärtnerin, weil ich Kinder sehr liebe. Nachdem ich Deutschland nun schon besser kennengelernt habe, merke ich: Die Menschen sind wirklich nett.

WIR HABEN JA JETZT BALD DAS WICHTIGSTE FEST IN DEUTSCHLAND: WEIHNACHTEN. FÜR DIE RELIGION ABER AUCH FÜR DEN KOMMERZ. WAS MACHT IHR IN DER WEIHNACHTSZEIT?
Ich habe noch nie Weihnachten gefeiert und werde es jetzt das erste Mal erleben. Ich kenne nur aus dem Fernsehen, dass es alle feiern und sich Geschenke geben. Ich wünsche mir also, dass wir auch alle zusammen sitzen und essen. Dafür muss man ja kein Christ sein. Zafars Familie hat frei, wir haben frei, alle Nachbarn feiern, dann werde ich es wohl auch feiern. Wir werden eine schöne Zeit miteinander verbringen.

HAST DU SCHON KONTAKTE MIT DEUTSCHEN AUSSERHALB DER FAMILIE?
Nein noch nicht, aber das möchte ich ändern. Ich schreibe mir ab und zu mit Freunden von Zafar.