Text: Christel Trimborn
PURE LEBENSLUST interessierte sich für Menschen, die ihr erfülltes Leben vor allem auch darauf zurückführen, dass sie sich häufig dem Neuen und Unbekannten öffnen. Diese Menschen sind neugierig auf das objektiv real Mögliche aber noch nicht Seiende. Es reizt sie grundsätzlich, sich etwas zu trauen – auch wenn es schief gehen könnte. Für sie liegt in dem Neuen und Unbekannten etwas Faszinierendes und Spannendes. Veränderungen sind nicht nur Willkommen, sondern Lebenselexier. Mitarbeiter der PURE LEBENSLUST Redaktion sprachen mit Menschen aus ihrer Umgebung über das Thema: TRAU DICH WAS!
Als Tochter einer Goldgräberin verbrachte Gisa Golpira einen Teil ihrer Kindheit im südamerikanischen Regenwald. Heute, nach vielen weiteren Abenteuern in der ganzen Welt, ist die sympathische junge Frau in Düsseldorf angekommen. Und nutzt ihre ungewöhnliche Familiengeschichte, um sauberen Goldschmuck zu machen. Nach dem Motto: Fair Trade statt Fast Fashion.
Sie winkt schon, während sie die Straße überquert. Ihre wilden Locken werden von einem dunkelblauen Filzhut gebändigt (später wird sie erzählen, dass sie begeisterte Hutsammlerin ist). In einem Café in Düsseldorf Flingern bin ich mit Gisa Golpira verabredet. Der bei Kreativen beliebte Stadtteil, in dem auch die 31-jährige Jungunternehmerin zuhause ist, nennt sich „Wohnzimmerviertel“. Das passt, denn nach ihrer Zeit als „Goldgräbermädchen“, ihrem Studium, zahlreichen Jobs als Modeeinkäuferin, Model und Tauchlehrerin sowie Reisen rund um den Globus scheint sie angekommen zu sein. Hat gemeinsam mit ihrem Freund eine Wohnung bezogen, in der sie sich rundum wohlfühlt und von der aus sie ihr Business betreibt. Beim Tee erzählt sie mir ihre Lebensgeschichte. Die klingt wie ein Abenteuerroman...
WIE KAM ES DAZU, DASS DU DEINE KINDHEIT IM DSCHUNGEL VERBRACHT HAST?
Seit ich denken kann, lebe ich in einer Patchworkfamilie. Meine Eltern haben sich getrennt als ich etwa drei Jahre alt war. Ich hatte das große Glück, mit zwei Papas aufzuwachsen: Einem, mit dem meine Mutter erst nach Südamerika ging und jetzt in Papua Neuguinea lebt und einem in Deutschland. Als meine Mutter ihren Lebensgefährten Michael kennenlernte, lebte der schon als Goldgräber im Regenwald und war nur zu Besuch in Deutschland.
UND DEINE MUTTER FOLGTE IHM MIT DIR IN DEN DSCHUNGEL?
Nicht ganz. Sie ging erst mal zur Probe mit und machte ihren „Urwaldführerschein“, wie sie das immer ausdrückt. Sie musste viel lernen. Über die Ernährung im Dschungel, wie man sich vor Insekten und Schlangen schützt und solche Dinge. Nach wenigen Monaten war ihr klar, dass sie dort bleiben wollte. Etwa ein Jahr später – da war ich vier – hat sie mich auf die erste Expedition mitgenommen.
WIE HABT IHR DORT GELEBT? WÜRDEST DU SAGEN, DER REGENWALD WAR DEIN ZUHAUSE?
Ich glaube, als Kind ist es viel einfacher, die Heimat zu verlassen und sich an anderer Stelle heimisch zu fühlen, als als Erwachsener. Für mich war das auch gar keine Frage – ich bin dahin gegangen, wo meine Mama war! Trotzdem war das Leben im Urwald natürlich eine ganz andere Welt. Es gab keinen Spielplatz im herkömmlichen Sinn und auch kaum andere Kinder in meinem Alter. Und auch kein Büdchen, wo ich mir mal eben Gummibärchen hätte kaufen können. Andererseits gab es so viel Schönes: Flüsse, wilde Orchideen, Gerüche, Farben. Michael hat mir beigebracht, kleine Fische zu angeln, die er wiederum als Köder verwenden konnte... ich hatte also eine richtige Aufgabe, wie jeder andere im Camp auch. Außerdem hatte ich einen eigenen kleinen Affen – davon können andere Kinder nur träumen.
Inzwischen hat Gisa ein paar ihrer ganz persönlichen Schätze auf dem Cafétisch ausgebreitet. Unter anderem eines der Bücher, das ihre Eltern Ariane Golpira und Michael Dianda geschrieben und mit eigenen Fotos illustriert haben: „Nie mehr zurück“ heißt es und ist in einen Schutzumschlag aus echten Bananenblättern gewickelt. Seit Jahren trägt Gisa es bei sich. Und genau das sieht man ihm an: Vom vielen Auf- und Zuklappen, vom wiederholten Blättern, Lesen und Anschauen der Fotos fällt das Buch beinahe auseinander, aber eben nur beinahe.
WANN BIST DU AUS DEM URWALD ZURÜCKGEKEHRT UND WIESO?
Endgültig nach Deutschland zurückgekommen bin ich mit acht Jahren. Damals ging ich in die zweite Grundschulklasse. Davor waren wir zwar auch ab und zu in Deutschland – eine Expedition dauert immer rund zehn Monate, sodass man bis zur nächsten Expedition zwei Monate Zeit hat – aber meinen deutschen Vater hatte ich zwischenzeitlich immer nur kurz gesehen. Einer der Gründe für meine Rückkehr war, dass meine Eltern sich für mich eine ordentliche Ausbildung wünschten. Nach Grundschule und Gymnasium sollte ich dann selbst entscheiden können, wie und wo ich leben wollte.
WIE HAST DU DAMALS DAS ZIVILISIERTE LEBEN HIER ERLEBT?
Einerseits habe ich mich bei meinem Vater und in der Schule sehr wohl gefühlt. Andererseits hatte ich aber auch immer ganz schlimmes Fernweh – ohne so ganz genau zu wissen, was das eigentlich ist! Nach meinem Abitur hatte ich das Glück, als Model in Paris, London und Mailand arbeiten zu können. Ein toller Job, wenn man das Reisen mag. Irgendwann bin ich in Australien gelandet. Bei einem Tauchkurs am Barrier Reef war ich von der Unterwasserwelt so begeistert, dass ich eine Taucherausbildung gemacht habe. Und so habe ich meine dreijährige Reise finanziert: Immer, wenn ich in der Nähe einer Stadt war, habe ich als Model gearbeitet und wenn Wasser in Sicht war, als Tauchlehrerin! In Australien, auf Bali, in Thailand...
UND IRGENDWANN HATTEST DU GENUG DAVON?
So schön das Reisen auch war, aber in all den Jahren hatte ich nie das Gefühl, irgendwo zuhause zu sein. Alles, was mir wichtig war, hatte ich im Rucksack dabei. Und so bin ich immer weiter gezogen, habe mal in irgendwelchen Apartments gewohnt, mal im Zelt, mal auf einem Schiff. Interessanterweise habe ich ein echtes Zuhause aber auch gar nicht vermisst – eigentlich kannte ich sowas wie Heimat ja gar nicht. Jedenfalls bin ich dann nach drei Jahren nach Düsseldorf zurückgekehrt und habe mir zum ersten Mal eine eigene Wohnung genommen.
UND? WIE FÜHLTE SICH DAS AN?
Toll! Ungefähr zwei Wochen nach dem Einzug, saß ich auf dem Sofa, habe mich umgeschaut und gedacht: „Wow, das ist jetzt mein Zuhause!“ Zum ersten Mal nach all den Jahren habe ich all die Dinge, die ich die ganze Zeit gesammelt hatte, ausgepackt gesehen. Ich habe es mir so richtig gemütlich gemacht, die Wohnung dekoriert, Kerzen und Musik angemacht. Ich weiß noch genau, wie ich auf meiner Couch saß und nichts gemacht habe, außer zu wohnen! Das hat sich
extrem gut angefühlt.
Während Gisa ihre faszinierende Lebensgeschichte erzählt, leuchten ihre Augen und ihre Hände gestikulieren unablässig, um das Gesagte zu unterstreichen. Dabei fällt mein Blick immer wieder auf den wunderschönen, sehr filigranen und absolut außergewöhnlichen Schmuck, den sie trägt. Superzarte Ringe an mehreren Fingern, eine hauchdünne Kette mit einem Goldnugget am Hals. Höchste Zeit, um über ihr Schmucklabel zu sprechen, das sie vor knapp zwei Jahren gründete.
DEINE RINGE STAMMEN AUS DEINER EIGENEN SCHMUCKKOLLEKTION: „GISA GOLPIRA, NO DIRTY GOLD“. WIE KAM ES DAZU?
Da muss ich etwas ausholen: Nach meinem Studium – ich habe in Mönchengladbach Modemanagement studiert – war es mein Traum, als Modeeinkäuferin für große Kaufhäuser zu arbeiten. Mein erster Job führte mich direkt nach Berlin zur Galerie Lafayette – besser hätte es nicht laufen können. Und obwohl ich dort eine tolle Zeit verbracht und unheimlich viel gelernt habe, musste ich schon nach etwa acht Monaten feststellen, dass der Job doch nicht das Richtige für mich war. Theorie und Praxis waren einfach meilenweit voneinander entfernt. Bis dahin hatte ich immer selbständig gearbeitet – und das wollte ich auch weiterhin tun. Zurück in Düsseldorf war meine Mutter gerade zu Besuch. Sie lebt inzwischen mit Michael in Papua Neuguinea und schürft dort nach Gold. Die großen Goldnuggets, das sind unbehandelte, nur vom Wasser und von der Witterung geformte Gold-Stücke, die sie in den Flüssen finden, verkaufen die beiden an Sammler. Gemeinsam haben wir dann überlegt, dass es toll wäre, aus den kleineren Nuggets Schmuck zu machen, der die Schönheit der Natur widerspiegelt und den Respekt, den meine Eltern dieser größtenteils noch unberührten Bergregion entgegenbringen.
DESHALB AUCH DER LABELZUSATZ „NO DIRTY GOLD“?
Ja. Wenn ich von der Zeit, in der ich selber im Regenwald gelebt habe, etwas gelernt habe, ist es der Respekt vor der Natur. Die Arbeit meiner Eltern sieht folgendermaßen aus: Gemeinsam mit einem Team aus Einheimischen tauchen sie mit einer Art Unterwasser-Staubsauger in den Flüssen nach Gold. Geschürft wird ohne Gifte, sondern auf die traditionelle Weise: Man steht im Fluss und wäscht die Goldnuggets mit Pfannen aus Steinen und Sand heraus – eine harte Arbeit, ich habe es inzwischen selber ausprobiert! „No dirty gold“ bedeutet, dass diese Methode des Goldwaschens keinerlei Umweltschäden hinterlässt und obendrein die dort lebende Bevölkerung mit einbezieht.
WIE MUSS MAN SICH DIE GRÜNDUNG DEINES SCHMUCKLABELS KONKRET VORSTELLEN?
Erst einmal habe ich einen Businessplan geschrieben. Glücklicherweise hatte ich im Studium auch Wirtschaftsseminare belegt. Heute entwerfe und vertreibe ich den Schmuck und verwende dafür die in den Flüssen gefundenen Goldnuggets, die ich meinen Eltern abkaufe. Auf diese Weise entsteht ein nachhaltiges Produkt, das meinen ästhetischen Vorstellungen entspricht und das außerdem eine wunderschöne Geschichte erzählt. Dafür stelle ich gerne meinen Namen und mein Gesicht zur Verfügung.
DAS HEISST, DU BIST FÜR DEN ENTWURF UND FÜRS MARKETING ZUSTÄNDIG. FERTIGST DU DIE RINGE UND ANHÄNGER AUCH SELBER AN?
Nein, das ist ein Handwerk, das ich leider nicht beherrsche! Ich habe einen Goldschmied gefunden – das war übrigens viel schwieriger, als ich angenommen hatte –, der Erfahrung darin hat, unbehandelte Goldnuggets so zu bearbeiten, dass sie sich in ihrer Form und Struktur beim Fassen nicht verändern. Denn das ist mir besonders wichtig: Ich möchte, dass der Träger das Stück so bekommt, wie es aus dem Fluss herausgewaschen wurde. Wir arbeiten im Team: Ich zeichne und er setzt meine Skizzen um.
WOHER NIMMST DU DIE INSPIRATIONEN FÜR DAS DESIGN?
Von Reisen, von der Natur, aber auch von ganz banalen, alltäglichen Dingen: Ein einzelnes Haar, das sich in der Dusche kringelt oder die Holzmaserung eines Küchentisches... Manchmal ist es aber auch ein besonders schön geformtes oder strukturiertes Nugget, das das Design eines Schmuckstücks vorgibt. Und manchmal habe ich eine Idee im Kopf, zu der ich mir die passenden Nuggets aussuche. Der „Cross Ring“ ist dafür ein gutes Beispiel: Die Idee eines lässigen, modernen Rings war zuerst da. Je nachdem, welche Goldnuggets mir zur Verfügung stehen, wähle ich die passenden aus. Von der Weltreisenden über die Modemanagerin zur Schmuckdesignerin – Gisas Werdegang, ihr Mut, ihre Begeisterung und ihre positive Ausstrahlung sind so spannend und echt, da könnte man noch stundenlang zuhören. Aber so langsam müssen wir zum Ende kommen. Nur noch ein paar allerletzte Fragen...
DU BIST FÜR FAST ALLE BEREICHE DEINES SCHMUCKLABELS ZUSTÄNDIG: FÜR DAS DESIGN, DAS MANAGEMENT, DEN VERTRIEB – WIE VERTEILEN SICH DIESE AUFGABEN?
Interessanterweise nimmt der Designpart die wenigste Zeit in Anspruch. Zweimal im Jahr gibt es eine neue Kollektion und wenn ich die entwickele, tauche ich ab und mache nichts anderes. Im Gegensatz dazu verbringe ich relativ viel Zeit beim Goldschmied, denn die meisten Stücke sind ja Einzelanfertigungen, die wir gemeinsam besprechen, bevor er loslegt. Das meiste ist allerdings Bürokram: Emails von Kunden und Stores beantworten, Aufträge erledigen, recherchieren, mit welchen Geschäften man eventuell zusammenarbeiten möchte und natürlich der Versand: Meine Verpackungen sind enorm aufwändig und ich mache alles selbst: Ich stempele jedes Wachssiegel auf die kleinen Apothekerfläschchen von Hand auf, packe jedes Schmuckstück selber ein. Sie lacht. Ich weiß, ich mache es mir nicht leicht, aber ich will, dass die Verpackung genauso hochwertig und ästhetisch ist wie der Schmuck selbst.
WIE SOLL ES WEITERGEHEN, WAS HAST DU DIR FÜR DIE ZUKUNFT DEINES LABELS VORGENOMMEN?
Im ersten Jahr habe ich meinen Schmuck ausschließlich über meinen Onlinestore verkauft. Für das zweite Jahr hatte ich mir vorgenommen, Geschäfte zu finden, die meinem Schmuck führen. Immer schön Step by Step. Und – jetzt lacht sie nicht mehr, sie strahlt – wie schon oft in meinem Leben hatte ich unheimliches Glück: Christiane Arp, die Chefredakteurin der deutschen Vogue, hat meine Kollektion gesehen und mich Anfang 2015 in den Vogue Salon* eingeladen. Die Veranstaltung ist ein echter Türöffner. Inzwischen gibt es mehrere Geschäfte in ganz Deutschland, in denen man Schmuck von „Gisa Golpira – no dirty gold“ kaufen kann. Der nächste Schritt sollte der ins Ausland sein. Und siehe da: Mit dem Vogue Salon habe ich die Möglichkeit, demnächst in Paris auszustellen. Sieht so aus, als ob alles nach Plan liefe...
LETZTE FRAGE: HÄTTEST DU AUCH MAL WIEDER LUST, IN DEN URWALD ZU GEHEN?
Auf jeden Fall! Die nächste Expedition wird meine Eltern nach Bolivien führen. Sie haben beinahe 20 Jahre in Papua Neuguinea gelebt und gehen nun zurück nach Südamerika. Ich würde sie gerne dorthin begleiten – nicht für eine ganze zehnmonatige Expedition, aber für eine gewisse Zeit. Ich möchte einfach noch einmal den Geruch des Dschungels in der Nase spüren, die Tiere hören... ich muss einfach noch einmal mit, bevor das irgendwann vielleicht nicht mehr möglich ist!
*Der Vogue Salon bietet aufstrebenden deutschen Designerlabels eine Bühne für ihre Kollektionen. Im Rahmen der Mercedes-Benz Fashion Week Berlin haben sie die Möglichkeit, sich und ihre Kollektionen zu präsentieren und nationale und internationale Geschäftskontakte zu knüpfen.
GISA, ICH DANKE DIR FÜR DAS INTERVIEW.