ZUM VERSCHENKEN

POESIE IN KLEINEN DOSEN

DER FREIGEIST LEBT ÜBER DEN DÄCHERN DER STADT DER FREIGEIST SCHWEBT ER HAT KEIN ZIEL NOCH AUSGANGSPUNKT IST IN DER MASSE UND ALLEIN WILL EINZIG BLOSS NICHT ARTIG SEIN DER FREIGEIST STECKT MIR IN DEN KNOCHEN HAB VERSUCHT IHN RAUS ZU TANZEN; ES WILL MIR NICHT GELINGEN

Sarah greift zum Stift und schreibt ihr Gedicht auf das Büttenpapier. Sie schreibt über Dinge die sie bewegen und die das Menschsein ausmachen: Über Liebe, Freiheit, Schmerz und das Leben. Sie hält inne, um ihre Gedanken zu komprimieren und in klassischer Gedichtform festzuhalten. Wenn sie die Zeilen aufgeschrieben hat, legt sie das Papier in eine kleine Blechdose. Ihre Gedichte stammen teilweise aus über 10 Jahre alten Schmierzetteln, die sie aufbewahrt und irgendwann angefangen hat, ordentlich aufzuschreiben. Damals hätte sie nicht gedacht, dass „fremde“ Menschen das jemals lesen. Doch sie folgte einem Impuls und den Worten, die zu ihr strömten. Was mit einer Idee begann, hat sich zu einem ausgereiften Konzept entwickelt. Mit „Poesie in kleinen Dosen“ gibt Sarah alten Tugenden eine neue Form. Indem sie die Worte frei werden lässt und ihre Gedichte mit uns teilt, regt sie zum Schmunzeln, Nachdenken und Mitfühlen an: „Die Welt braucht Ehrlichkeit. Wir sind nicht immer nur stark, sondern auch verletzbar.“ Der Sänger Clueso war so begeistert von ihrem „Freigeist“, dass er es für sie vertonte. Im Sommer 2015 hatte Sarah einen Saisonladen in dem sie ihre Dosen verkaufte und kleine Lesungen hielt. Seit diesem Monat kann man ihre Themenboxen online in ihrem Internet-Shop, in einer Galerie in Köln und in einem kleinen Laden in Bremen erwerben.

SARAH, WIE KAM ES DAZU, DASS DU DEINE GEDANKEN IN GEDICHTFORM FESTGEHALTEN HAST?
Nach der Schule mit Anfang 20, habe ich angefangen, Dinge die ich im Kopf hatte, festzuhalten. Ich wusste zu dem Zeitpunkt gar nicht was ich da aufschreibe und habe es auch nicht wertgeschätzt. Ich tue mich schwer damit, Dinge wegzuwerfen und habe sie aufbewahrt. Vielleicht auch aus einer Ahnung heraus. Erst Jahre später habe ich diese Zettel wiedergefunden und merkte: „Hey das ist ja echt schön, da kann man etwas draus machen.“

WELCHE THEMEN BEARBEITEST DU IN DEINEN GEDICHTEN?
Ich schreibe immer darüber, was mich gerade in dem Moment am stärksten bewegt. Das ist mal was Schönes und mal was Unschönes. Es geht immer um Emotion.

WO SCHREIBST DU, GIBT ES EINEN LIEBLINGSPLATZ?
Da wo es mir in den Kopf kommt. Das kann in der Bahn sein, oder wo auch immer. Ich wünschte, es gäbe so einen Platz. Dann könnte ich mich dort hinsetzten und vielleicht strukturierter arbeiten. Aber das funktioniert nicht. (lacht)

AUS WAS FÜR EINER QUELLE SCHÖPFST DU?
Ich gehe schon davon aus, dass es eine Verbindung ist – von meiner Essenz und dem Kosmos. Es gibt ja viele Wörter dafür. Ich bin nicht religiös in dem Sinne, aber es ist ein großes Feld wo ich andocke, wenn ich mit mir selber in Berührung komme. Ich meditiere auch viel und merke wenn irgendwo etwas quer sitzt. Ich versuche mir Zeit zu nehmen wieder in den Fluss zu kommen und nehme mir eine Auszeit wenn ich sie brauche.

WIE KAM ES ZU BÜTTENPAPIER IN BLECHDÖSCHEN?
Auch das war mehr oder weniger zufällig. Ich bin nach Dresden gefahren, um mir die Stadt anzuschauen und stöberte dort durch die Läden. Dabei bin ich auf eine Papeterie gestoßen, die ein ganz kleinformatiges Büttenpapier hatte. Das fand ich einfach süß. Abends war ich auf einem kleinen Flohmarkt am Elbufer und habe diese hübschen alten Zigarettenschachteln und Tabakdosen gefunden. Am nächsten Tag regnete es so, dass man nicht rausgehen konnte und mein Hostel hatte eine schöne Bibliothek. Ich habe dann angefangen, Auszüge aus meinen Gedichten auf das Büttenpapier zu schreiben. Als ich mich fragte wie ich sie heile nach Köln bekomme, fielen mir die Dosen ein. Die zwei Materialien haben sich gut ergänzt und ich habe mich sofort in die Kombination verliebt. Mittlerweile habe ich mein eigenes Design, mit dem ich Blechdosen bedrucken lasse.

WARUM WÄHLST DU DAS RAR GEWORDENE, HANDSCHRIFTLICHE WORT?
Für mich ist es das Natürlichste, etwas in Form von Schrift festzuhalten. Es kommt direkt aus mir heraus. Außerdem schafft es ein näheres Verhältnis zwischen mir und dem Leser.

WAS FÜR MENSCHEN LESEN DEINE GEDICHTE?
Das sind sicherlich Menschen, die keine Berührungsängste mit ihren eigenen Gefühlen haben. Es findet ja auch nicht jedes Gedicht Anklang bei jedem. Bei manchen geht es direkt rein, einige fangen an zu grübeln oder können gar nichts damit anfangen. Gerade bei der Trauerbox denke ich mir das oft. Jeder trauert ja anders. Vielleicht ist jemand so im Schmerz verhaftet, dass es gar nicht möglich ist, Schönheit darin zu sehen, dass sich jemand wieder in eine andere Welt verabschiedet. Meine Gedichte sind subjektive Gedanken und man muss schon offen sein, um sie nachempfinden zu können. Auf der anderen Seite denke ich, dass starke Gefühle gar nicht so unterschiedlich empfunden werden. Sicherlich in unterschiedlichen Nuancen, aber in der Heftigkeit empfinden wir es wahrscheinlich sehr ähnlich. Wir sind ja alle Menschen.

DEINE GEDICHTE SCHEINEN IN EINEM ZEITLOSEN RAUM ZU STEHEN UND LASSEN SICH NICHT VON UMTRIEBIGEN MEDIEN BEEINDRUCKEN. DIE WENIGSTEN MENSCHEN HABEN IM JAHR 2016 EINEN GEDICHTBAND AUF DEM COUCHTISCH LIEGEN. WARUM GLAUBST DU, FINDEN DEINE GEDICHTE DENNOCH SO GUTEN ZUSPRUCH?
Weil sie ehrlich sind. Ich merke, dass es Menschen gibt die das sehen können - oder wieder sehen. Ich glaube es braucht mehr Ehrlichkeit in dieser Welt. Das meine ich auch übergreifend auf alle Künste und auf alles Kreative Schaffen. Es braucht etwas, dass die Menschen berührt- es braucht Gefühle.

KURZNACHRICHTEN SIND DAS SPRACHMEDIUM UNSERER ZEIT. IN DER POESIE GEHT ES JA UM VER-DICHTUNG VON SPRACHE. SIEHST DU EINEN ZUSAMMENHANG ZU DIESER KOMPRIMIERUNG VON SPRACHE IN DEN NEUEN MEDIEN UND DER URSPRÜNGLICHEN DICHTKUNST?
Also ich habe diese Verbindung vorher noch nicht so gesehen, aber wenn ich jetzt darüber nachdenke...ich habe letztens einen Artikel über „Alltagspoesie“ gelesen. Das Wort war mir bis dahin auch neu, das sind zum Beispiel kleine Sprüche die an eine Wand gekritzelt sind. Und dann habe ich überlegt: Mache ich selber vielleicht Alltagspoesie?

UND IST LYRIK NICHT VIELLEICHT SOGAR HOCHMODERNER ALS PROSA, WEIL DIE MENSCHEN IN DEM SINNE WENIGER ZEIT BRAUCHEN UM SIE ZU LESEN?
Ja, ich kann mir vorstellen, dass es auch dadurch wieder mehr im Kommen ist.

WELCHE ALTEN MEISTER DER DICHTKUNST INSPIRIEREN UND BEGLEITEN DICH AUF DEINEM WEG?
Ich mag natürlich Goethe. Wenn ich etwas von ihm lese denke ich: „Ja, genauso ist es.“ Dieses Gefühl habe ich nicht so oft. Mir begegnen immer mal wieder interessante Werke, aber ich kann nicht sagen, dass ich einen Lieblingsdichter habe.

GEDICHTE SCHREIBEN BRINGT SPASS UND KANN BEFREIEND SEIN. ICH MÖCHTE UNSERE LESER MOTIVIEREN SELBER EIN PAAR ZEILEN ZU SCHREIBEN. KANNST DU EINEN TIPP GEBEN IN DEN FLUSS ZU KOMMEN? GÄHNEND LEERES PAPIER MACHT SCHLIESSLICH AM ANFANG ANGST.
Man muss erst mal aufhören zu denken. (lacht) Das ist natürlich das schwierigste. Man darf nicht zu viel erwarten, mit Druck erreicht man gar nichts. Es gibt Momente wo man wenig in der Ratio ist. Vor allem vorm Einschlafen und direkt nach dem Aufwachen, wenn man noch halb schläft. Man sollte immer einen Stift und Zettel parat haben, denn wenn es sich formt muss man es direkt aufschreiben können. Frage dich: Welche Gefühle sind grade in mir? Außerdem muss man achtsam sein und bei sich.