Interview: Ingo Kabutz
Johan Simons, Intendant der Ruhrtriennale 2015 bis 2017, holt den politischen Diskurs zurück in die etablierte Kunst. „Ich will Menschen in die Oper und ins Theater holen, die sonst nie eine Aufführung eines Kunstwerkes besuchen". Diesen emanzipatorischen Anspruch formulierte Johan Simons bereits zu Beginn seines ersten Ruhrtriennale-Jahres im Frühjahr 2015 – und erneuert ihn nun selbstbewusst zu Beginn der Spielzeit 2016. Der niederländische Schauspieler, Intendant und Theaterregissier feiert am 1. September seinen 70. Geburtstag. PURE LEBENSLUST Chefredakteur Ingo Kabutz traf Johan Simons zum Interview vor der Premiere seiner Neuinszenierung ALCESTE am 10. August 2016 im „Ruhrtriennale-Headquater" in Gelsenkirchen.
Preview: Das zeitgenössiche Interview spiegelt u.a. die sehr persönliche Sicht dieses großen Kulturschaffenden auf die Krisen und auf Lösungswege unserer Zeit wieder. Das gesamte Interview erscheint am 28.9.2016 in der PURE LEBENSLUST Ausgabe 10.
Bei der Auftakt Pressekonferenz zur Ruhrtriennale 2016 am 3. August wurde den Journalisten der nationalen und internationalen Presse das 2016er Programm vorgestellt. Schon hier wird deutlich: Der Mann, der mit seinem hochkarätiges Team das Theater, die Oper und Performances in die ehemaligen Zechen und Kokereien des Ruhrgebietes bringt, thematisiert – noch klarer und offener als 2015 – die aktuellen politischen Krisen unserer Zeit mit den Mitteln der Kunst. Und Simons meint es ernst: „Wir wollen mit Theater tiefe Gräben überwinden. Wir bringen die Religionen zusammen. Wir sprechen die einfachen Leute auf Wochenmärkten an und laden sie persönlich ein, unsere Inszenierungen zu besuchen".
Erinnern wir uns: „Kultur für Alle" war schon in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts das Programm eines neuen Kulturverständnisses. Und dieser „erweiterte Kulturbegriff" hatte seinen Ursprung in NRW bzw im Ruhrgebiet. Die erste Ausgabe von URBS 71 war ein interkulturelles Festival von 6 NRW-Städten, das sich aufmachte, die traditionellen Zugangsbarrieren zur Kultur aufzubrechen. Und als der in Bremen geborene Hilmar Hoffmann, einer der bedeutendsten Kulturmenschen Deutschlands, 1979 sein Standardwerk „Kultur für Alle" veröffentlichte, bildete die Arbeiterkultur des Ruhrgebiets die Grundlage seines soziokulturellen Paradigmas. Kultur sei für ihn ein "Lebenselixier", unverzichtbar für Jeden, der "ein ganzer Mensch werden" möchte, sagt Hilmar Hoffmann im dpa-Interview. Mit 25 Jahren gründete Hilmar Hoffmann in Oberhausen eine Volkshochschule, später wurde er Kulturdezernent der Stadt. Von 1970 bis 1990 war Hoffmann Kulturdezernentder Stadt Frankfurt am Main. In dieser Zeit erstritt er in den 1980er Jahren für seinen Etat elf Prozent des Frankfurter Gesamthaushaltes, den höchsten Kulturetat, den eine Stadt in Deutschland damals haben konnte. Die Projekte, die er damit finanzierte, ermöglichte auch Hunderttausenden von Menschen den Zugang zur Kultur, die normalerweise kein Interesse oder keine Möglichkeiten zur Teilnahme am kulturellen Leben haben. Am kommenden Donnerstag, den 25. August 2016 wird Hilmar Hoffmann übrigends 91 Jahre alt. Wir gratulieren herzlich.
In gleichem Atemzug der Ruhrtriennale-Programmatik „Kultur für Alle" müssen als wegweisende NRW-Projekte ebenfalls genannt werden: Zum Beispiel die Unnaer Künstlergruppe „Hoffmans Comic Teater", die 1977 aus Berlin in die westfälische Provinz nach Unna reiste und sich dort in dem einst blühenden, soziokulturellen, kommunal getragenen „Kultur-Laboratorium" niederließ. Finanziert durch die Stadt Unna wurde diese Theatergruppe um Peter Möbius, Claudia Roth, Uta Rothermund, Rio Reiser, Hartmut Hoffmeister und Ingeborg Wunderlich bundesweit zum Synonym für die Bespielung öffentlicher Plätze und für die Thematisierung künstlerischer aber auch politischer Wirklichkeiten ... unter Beteiligung von tausenden „normaler" Bürgerinnen und Bürger und auf hohem künstlerischen Niveau. In den 1980er Jahren schlossen sich gar 29 nordrhein-westfälische Städte innerhalb des Sekretariats für gemeinsame Kulturarbeit NRW zusammen, um innerhalb eines zweijährigen interkommunalen Diskurses „KULTUR 90" die NRW-Kulturarbeit zu hinterfragen und für die Zukunft aufzustellen.
Und nun kommt Johan Simons. Nach zweieinalb Jahrzehnten relativen Stillstandes hinsichtlich einer emanzipatorischen Kulturarbeit und nach radikalen Streichungen der kommunalen Kulturetats bekennt sich ein internationaler Star der etablierten Künste zu den Grundzügen von „Kultur für Alle". In unserem Interview erschließt sich sowohl der ganz persönliche Zugang Simons zu diesen Werten als auch der politische Kontext. Wen es interessiert: Am 28.9.2016 in PURE LEBENSLUST. Glück Auf!