Autorin: Romina Kabutz
Guatemala ist ein Land der vielen Farben: Kunterbunte Stoffe der traditionellen Frauen, exotische Blüten und eine herrliche Palette an Früchten prägen die Dorflandschaften. Aus Restaurants und Geschäften tönt aus großen Boxen fröhliche Latino Musik. In öffentlichen erkehrsmitteln schunkeln die Menschen im Rhythmus von leidenschaftlichem Marimba über die unbefestigten, staubigen Straßen. Was auffällt ist das Lachen der Menschen. Die scheinbare Leichtigkeit des Seins. In einem Land was zu den finanziell ärmsten gehört, sind diese Menschen reich an Zufriedenheit.
In Guatemala sind 60% der 15 Millionen Einwohner indigene Nachfahren der einstigen Maya Hochkultur. Wir erzählen die Geschichten von Dieter Richter, einem Deutschen, der sich vor 30 Jahren in Guatemala verliebt hat und heute einer der bedeutendsten, architektonischen Wissenschaftler der ehemaligen Mayakultur ist. Und Kensi Tesucun, die von ihrer Kindheit, ihrem ursprünglichen Leben und ihrer Verbundenheit zu ihren Wurzeln berichtet. Was diese beiden Menschen verbindet ist die ganz unterschiedliche Verbundenheit zur Kultur der Maya, der inspirierende Appell, das Leben zu genießen. Also auch Glück zu finden in der Einfachheit des Lebens – fernab von Konsum und finanziellem Erfolg.
Mit 23 Jahren war Dieter Richter (53) zum ersten Mal in der seit über 1000 Jahre verlassenen Maya Stadt Tikal, im Norden von Guatemala. Er erkundete die Stätte mit neugierigem Abenteuerdurst und kletterte auf die damals noch fast vollständig vom Urwald verschlungenen gigantischen Pyramidenruinen. Ganz oben blickte er in den unendlich scheinenden Regenwald. Aus der Ferne hörte er die Brüllaffen fast schaurig röhren.„Ich war fasziniert! Andererseits hätte ich heulen können“. Er dachte, dass alles bereits entdeckt wäre und er nichts mehr machen kann. Heute, 30 Jahre später, ist er als Architekt mittendrin. Seit 2004 lebt er fest bei Flores, am Petén Itzá See, dem Ausgangspunkt für Tikal. Er würde mit keinem anderen Land der Erde tauschen. Nach der Bundeswehr macht Dieter Richter eine Weltreise. Er sitzt am Tresen in einem Hotel in Los Angeles und will auf dem Rückweg nach Deutschland nochmal kurz über Mexiko fliegen. Da sagt ihm ein Schweizer: „Alter wenn du nach Mexiko gehst, dann fahr lieber durch nach Guatemala, das ist so geil!“. Genau das macht er. Durch den Bürgerkrieg ist Guatemala noch sehr gefährlich und es sind fast keine Touristen unterwegs. Für Richter ist es das pure Abenteuer. Bald besucht er Tikal. Mit seinen vielen Tempeln und Palästen war die Stadt in der Blütezeit der Maya, zwischen 300 und 500 n. Chr. eine der mächtigsten und größten Hauptstädte mit über 50.000 Bewohnern überhaupt. Insgesamt ist Richter dort mit nur vier anderen Touristen. „In so einer ausgestorbenen Stätte alleine zu sein und überall hochklettern zu können war der reine Wahnsinn“, sagt er, „wobei Tikal nicht zu vergleichen war mit dem wie es heute ist. Es war noch alles unter dem Dschungel.“ Aus Wochen in Guatemala werden Monate. „Die Leute besitzen wenig und Konsum steht nicht so im Mittelpunkt. Beobachtet man die Leute in den Straßen lachen sie viel und sind glücklich.“ „Ich war jung aber hatte viel von der Welt gesehen. Das war alles toll. Aber nach den ersten drei Monaten in Guatemala wusste ich, dass ich hier leben möchte.“ Vier Jahre lang arbeitet er in einer Kneipe in Deutschland, um sich ein Leben in Guatemala zu finanzieren, bis er sich irgendwann fragt: „Ja und was machst du dann da?“ Er fängt an Architektur zu studieren. Jede Semesterferien kehrt er zurück, denn Fakt ist: Es gibt viele Archäologie-Studenten in den Ausgrabungsstätten aber fast keine Architekten, die auch noch Spanisch lernen. Er wird mit Kusshand in den Projekten willkommen geheißen. „Ich habe irgendwann Berichte über die archäologischen Grabungen in Tikal gelesen und gesehen, dass es nie eine Forschungsarbeit gab, wo die einzelnen Komplexe zusammen geführt wurden. Er beginnt eine Doktorarbeit, wobei ihn der Doktortitel selber überhaupt nicht interessiert. Sowieso ging es ihm nie darum, zu publizieren. Geld bekommt er für seine Arbeit nicht - doch er will forschen. Die offizielle Arbeit öffnet Tore. Er kommt in das wissenschaftlich nun viel erschlossene Tikal überall hinein. Er erforscht, wie die Stadt im Laufe der Jahrhunderte gewachsen ist und hat seine eigene Theorie zu dem rätselhaften Untergang der Maya Hochkultur: „Die Maya haben geglaubt, dass alles durch eine Vielzahl Göttern und übernatürlichen Wesen kontrolliert wird. Dass der König ein Medium zur Götterwelt ist. Das war in der Seele eingebrannt und hat ihr Weltbild geprägt und wurde auch nicht hinterfragt. Die frühen Maya sind genauso Menschen gewesen wie wir, die genauso ein großes Ego hatten. Man betrachtet die Nobelklasse und - je mehr solche Menschen bekommen - desto mehr wollen sie haben. Eine Mittelklasse gab es nicht. Sie haben in großen Palästen gelebt und sich den Göttern nah gefühlt. Architektonisch kann man das wunderbar beobachten: In der frühen Zeit sind Masken von übernatürlichen Wesen auf den Tempeln abgebildet. Später lies sich stattdessen der König auf seinem Thron dort abbilden.“ Der Untergang der Maya Hochkultur ist, seiner Meinung nach, ein perfekter Spiegel für gesellschaftliche Entwicklung. Ein Volk guckt sich den Unterschied zwischen Nobelklasse und Volk lange an. Aber irgendwann heißt es: Mehr Rechte für das Volk! „Ohne Zeichen für Krieg oder Revolution haben sie die grandiose Nobelklasse in Tikal stehen lassen.“ Die Menschen haben Tikal verlassen und sind in kleinere Städte abgewandert. Die Zeit der einflussreichsten Städte des Maya Reiches war vorbei. Die Menschen zogen in die Provinzen und haben sich verbreitet. „Ich bin nicht sicher wie viel heute noch von der ursprünglichen Kultur übrig geblieben ist. Von dem was ich gehört habe gibt es sicherlich an einigen Stellen noch Menschen, die etwas davon wissen, aber davon kenne ich persönlich keinen.“ Dieter Richter lebt gemeinsam mit seiner guatemaltekischen Frau Eva bei Flores. Neben der Arbeit in Tikal, wirkt Richter außerdem beim größten wissenschaftlichen Projekt in Petén mit, das drei gigantische Stätte, in der am dichtesten besiedelte Region der Mayaklassik erforscht. 2003 hat er das Café und Resaturant „Yaxha“ in Flores ins Leben gerufen, was Maya Interessierten unvergleichbare Einsichten in laufende Projekte an Ausgrabungsstätten ermöglichen. Die Liebe zu Guatemala und die Gier die Architektur der Maya zu erforschen hat Richter nicht verloren: „Ich forsche bis ich keine Lust mehr habe, aber die Lust wird nicht vergehen.“ Was können wir von der guatemaltekischen Seele lernen? Naja, ein bisschen lockerer zu werden. (lacht) Nicht nur immer an Kohle verdienen und Konsum denken, sondern ganz einfach mal ein bisschen leben.
Romina Kabutz (Mitte) mit Dieter Richter und seiner Frau Eva.
Gerade die Menschen in den Dörfern haben große Herzen, ihre Seelen sind offen und alte Werte und Traditionen werden gepflegt.
„Ich trage nicht mehr die traditionelle Kleidung, wie das viele Indigene auch heute noch tun. Noch spreche ich Itzá aber die Maya sind meine Wurzeln“ sagt Kensi, die mit ihrer Tochter Naomi in der Hängematte schaukelt, auf Spanisch. „Ich fühle mich auf eine andere Weise mit der Kultur verbunden.“ „Wir konsumieren und benutzen immer noch die gleichen Güter und kultivieren die gleichen Produkte wie vor vielen hundert Jahren, wie Mais, Camote, oder Güisquil, ähnlich wie die Kartoffel. Auch die Form des Lebens hat sich nicht viel verändert. In den Dörfern leben wir immer noch ein einfaches Leben. Die Männer arbeiten in den Feldern und Wäldern. Die Frauen kümmern sich um ihre Kinder und Familie, kochen, machen Tortillas und waschen die Wäsche per Hand in der Pila, im Steinbecken. Außerdem interessiere ich mich sehr für die medizinischen Pflanzen, die seit tausenden Jahren benutzt werden.“ Neben Kensi´s Familie gibt es viele andere in Petén, deren Geschichte bis in die Zeit der Itzá zurückverfolgt werden kann. Die meisten der Einwohner in San José haben wie Kensi einen indigenen Nachnamen. Auch dadurch fühlt sie sich mit der Maya Kultur verbunden. „Mein Vater Juan José spricht noch ihre Sprache, die er aber nicht mehr an uns Kinder weiter gab.“ Damit gehört er zu den etwa 60 letzten älteren Menschen, welche die Maya Itzá Sprache noch sprechen. Das Volk der Itzá wanderte um 500 n.Chr. in den Norden und siedelte sich im mexikansichen Yukatán an. Sie gründeten die Maya Stadt Chichén Itzá, die 200 Jahre lang eine große Rolle gespielt hat. Sie verehrten die gefiederte Schlange, die von den Maya „Kukulkan“ genannt wurde. Es ist der Gott der vier Elemente, der Auferstehung und der Reinkarnation. Nach Jahren der Unruhe und Kämpfe zogen die Itzá im Jahr 1194 zurück nach Petén und gründeten auf einer kleinen Insel im Petén See ihre neue Hauptstadt Tayasal. Es war der letzte bis 1697 unabhängige Maya-Staat. Auf dessen Ruinen bauten die Spanier das heutige Flores. „Mein Urgroßvater hat noch Maya Zeremonien gemacht.“ erklärt Kensi, „es gab Rituale, um sich bei den Göttern die Erlaubnis zu holen, Mais zu sähen, und Felder zu kultivieren. Auch um den im Sommer raren Regen zu rufen. Die Generation meiner Großeltern und Eltern sind die letzten, die noch vermehrt praktiziert haben. Jetzt sind Maya Zeremonien in San José selten geworden.“
Kensis Vater Juan José gehört zu dem etwa 60 letzten älteren Menschen, welche die Maya Itzá Sprache sprechen.
Aufgewachsen ist Kensi in einem bescheidenen Haus am See. Der Petén See gab dem Volk der Itzá, was „Zauberer des Wassers“ bedeutet, wahrscheinlich seinen Namen. „Wir Kinder haben immer am Ufer gespielt und Netze gebastelt, mit denen wir für das Mittagessen fischten. Es gab weder Fernseher noch Telefone. Aber wir hatten ein kleines Radio, an dem ich gerne gesessen und zugehört habe. Unser Haus hatte keine Wände. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich mir durch das Moskitonetz vorm Einschlafen die Sterne angeschaut habe“, erzählt sie und muss lachen, als sie von den Monstern erzählt, die sie in den Schatten de Bäume gesehen hat. Wasser wurde vom See geholt. Trinkwasser ist auch heute noch Regenwasser, was im großen Bottich gesammelt wird. Es gab keine Elektrizität und man ging mit dem Untergang der Sonne ins Bett. Gekocht wurde am Feuer, wie auch heute noch. Es gab eine große Mühle, mit der Maismehl für die Tortillas gemacht wurde. Sie hatten Hühner, Schweine, Truthähne und Gemüse aus dem Garten. „Wir haben vom Berg gegessen, getrunken und gelebt. Wir Kinder haben unseren Eltern viel geholfen und besaßen weniger als wir heute haben. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir unglücklich waren. Wir haben ein schönes Leben, und alles was wir brauchen.“
"Familia es un núcleo." Familie ist ein Zellkern. Kensis Familie mit Romina Kabutz und Daniel Wellmann (vorne links).
Kensi beschreibt die guatemaltekische Seele als großzügig und gastfreundlich. „Gerade die Menschen in den Dörfern haben große Herzen, ihre Seelen sind offen und alte Werte werden gepflegt. Wenn man hier auf der Straße grüßt dann wird zurück gegrüßt.“ Familie ist ein essentieller Bestandteil im Leben der Guatemalteken, die oftmals 6-8, oder mehr Kinder haben. Für Kensi ist der Zusammenhalt der Familie wichtig, um Einheit zu spüren: „Familia es un núcleo.“ Familie ist der Zellkern. Wie die meisten Familien, lebt sie mit drei Generationen zusammen. Sie weiß, dass sich die Gesellschaft in vielen Ländern in eine andere Richtung entwickelt. „Einige Kinder sind hier, andere dort und die Eltern leben einsam irgendwo anders. Das ist keine Einheit. Die Familie ist das Zentrum. Wenn du sie nicht in deinem Herzen hast, hast du nichts. “
Seit einem Jahr hat Kensi eine Nische für sich entdeckt die ihr Leben zusätzlich bereichert: „Couchsurfing“. Auf einer Internetplattform bieten Privatpersonen auf der ganzen Welt umsonst Schlafmöglichkeiten an. „Wenn Reisende hierher kommen ist Vieles für sie neu“, erzählt Kensi lachend. Die Kultur und unser ganzes Leben. Jemand sagte zu mir als er ging: „Kensi, du hast mich eine große Lektion gelehrt:
Du lebst ohne Kaffeemaschine, Waschmaschine, Herd und heißes Wasser in der Dusche und bist glücklich. Wenn ich das alles nicht in meinem Land hätte, wäre ich nicht so zufrieden. “ Ich lerne auch viel von den Reisenden. Sie bestaunen die Sterne, die Natur und die Sonne. Es ist für mich normal, aber so schätze ich es jeden Tag neu.
Man darf nicht daran denken was man nicht hat, sondern daran was man hat und muss sich täglich daran erfreuen.